„Wir müssen gemeinsam auftreten“



Interview mit der Badischen Zeitung vom 15. Juli 2014.

Badische Zeitung (BZ): Sie haben das Spionieren der US-Geheimdienste als Dummheit bezeichnet. Insgesamt gibt es durch diese Affären einen massiven Vertrauensverlust zwischen beiden Ländern. Wie kommen wir aus diesem Schlamassel wieder heraus?

Wolfgang Schäuble: Der Vertrauensverlust ist das eigentliche Problem. Wir Europäer sind in Sicherheitsfragen auf die USA angewiesen, gewiss. Die Amerikaner sollten aber begreifen, dass sie ihre Aufgaben in der Welt nur wahrnehmen können, wenn sie auch für die Attraktivität unseres westlichen Gesellschaftsmodells einstehen. Und dazu muss man sich entsprechend verhalten.

BZ: Das sehen die US-Geheimdienste offenbar anders.

Schäuble: Geheimdienste wollen so viel wie möglich wissen. Man muss sie deshalb kontrollieren. Viele in Deutschland scheinen aber zu glauben, innere und äußere Sicherheit sei eine Selbstverständlichkeit, für die man nichts tun muss. Das ist natürlich falsch. Das ändert aber nichts daran, dass das Spionieren unter Verbündeten dummes Zeug ist.

BZ: Bundeskanzlerin Merkel hat gesagt, es müsse wieder Vertrauen wachsen. Glauben Sie, dass diese Mahnung auf der anderen Seite des Atlantiks Gehör findet?

Schäuble: Das Vertrauen war viele, viele Jahre vorhanden: Wir haben den Amerikanern vertraut, dass sie Deutschland und das geteilte Berlin verteidigen. Die Amerikaner haben uns vertraut, als es um die deutsche Einheit ging. Vielleicht ist Vertrauen verloren gegangen, weil vieles so selbstverständlich war. Das ist aber nicht allein ein deutsch-amerikanisches Problem. Auch die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA in wirtschaftspolitischen Fragen ist nicht immer leicht. Wir bekommen die Bankenregulierung zwar in Europa, aber nicht global geregelt. Wir können uns nicht auf gemeinsame Standards der Rechnungslegung von Firmen einigen. Jeder verteidigt da verbissen sein Modell, obwohl wir wissen, wir brauchten gemeinsame, global gültige Regeln, auch bei der Besteuerung.

BZ: Und die Europäer sind zu schwach, sich durchzusetzen.

Schäuble: Manchmal ist das so. Deswegen predige ich ja immer, dass wir gemeinsam auftreten müssen. Nur dann werden wir ernst genommen.

BZ: Wie schätzen Sie in dieser Situation die Perspektiven für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ein? In Brüssel hat die sechste Verhandlungsrunde begonnen.

Schäuble: Die europäische Kommission muss verstehen, dass mehr Transparenz notwendig ist. Sonst hat das Abkommen nicht den Hauch einer Chance – nicht im EU -Parlament und nicht in den Mitgliedsstaaten. Das vorausgesetzt, muss man eine ernsthafte Debatte darüber führen, wo die Vorteile für ein Land wie Deutschland liegen, das viele Güter in alle Welt exportiert. Meiner Überzeugung nach würde Deutschland von einem solchen Abkommen profitieren.

BZ: In der Öffentlichkeit stehen die Befürchtungen im Vordergrund, nicht die Chancen.

Schäuble: Das stimmt. Und über die muss man reden, dem muss man Rechnung tragen. Aber irgendwie wäre es natürlich schon lächerlich, wenn wir mit aller Welt Handelsabkommen schließen – nur nicht zwischen der EU und den USA, den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt.

BZ: Wie wichtig ist das Thema denn der Bundesregierung?

Schäuble: Das ist sehr wichtig. Aber es ist klar, man muss die Menschen von den Vorteilen überzeugen. Das geht nicht über Nacht. Das wird ein langer Prozess.

BZ: Es gibt viele Ängste. Neben der fehlenden Transparenz ist das vor allem die Schiedsklausel, die es Unternehmen erlauben soll, vor ein Schiedsgericht zu ziehen, wenn Sie mit der Gesetzgebung eines Landes unzufrieden sind. Sie können also die staatliche Gerichtsbarkeit umgehen.

Schäuble: Angesichts oft langwieriger Prozesse vor nationalen Gerichten kann man verstehen, dass Unternehmen das vermeiden wollen. Es wird aber niemand im Ernst glauben, dass wir die Rechtsstaatlichkeit privatisieren. Zentrale Prinzipien unseres Staatswesens stehen selbstverständlich nicht zur Disposition.

BZ: Mein Eindruck ist, dass die Gegner eines Abkommens die Debatte beherrschen und die Regierung auf Tauchstation ist.

Schäuble: Es ist viel leichter, gegen etwas zu mobilisieren als für etwas. Da liegt viel Arbeit vor uns. Es wird aber der Regierung allein nicht gelingen, die öffentliche Meinung zu andern.

BZ: Sie sind nach Freiburg gekommen, um eine Rede zu Europa zu halten. Wie schätzen Sie den Zustand der Union ein?

Schäuble: Die Eurokrise ist noch nicht vorbei. In den vergangenen vier Jahren sind wir besser vorangekommen, als die meisten es gedacht hätten. Aber wir müssen diesen eingeschlagenen Weg weitergehen, auch wenn es anstrengend ist. Da ist es natürlich nicht hilfreich, wenn einige Mitgliedstaaten mehr darüber nachdenken, wie man die Regeln des Stabilitätspakets dehnen kann, als die Regeln einzuhalten. Wenn die Regeln jetzt für einige Staaten nicht mehr gälten, wäre das auch denen, die sich in den vergangenen Jahren sehr angestrengt haben, nicht zu erklären.

BZ: Es gibt ja noch mehr Uneinigkeit in der Union. Zum Beispiel beim Thema Finanztransaktionssteuer. Die soll ja dazu dienen, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen.

Schäuble: Wir wollen diese Steuer, aber die Sache ist kompliziert. Einige Mitgliedsländer wollen sie nicht, weil sie fürchten, dass das Finanzgeschäft abwandert. Aber auch unter den elf Ländern, die vorangehen wollen, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Deutschland will eine umfassende Besteuerung, aber wir brauchen nun einmal eine Einigung. Deshalb wird es nur in kleinen Schritten vorangehen.

BZ: Das klingt nicht so, als ob die Steuer jemals käme.

Schäuble: Doch, davon bin ich überzeugt. Ich bin auch überzeugt, dass von ihr ein Sog ausgehen wird und sich mehr Länder anschließen werden, wenn sie einmal eingeführt ist. Wir haben fest vor, dieses Jahr ein Stück voranzukommen.

BZ: Steuerfragen sind in Europa deswegen so schwierig, weil jedesmal Einstimmigkeit erforderlich ist. Vergangene Woche gab es einen kleinen Fortschritt bei der Unternehmensbesteuerung. Kommt damit Bewegung in die Sache?

Schäuble: Steuerschlupflöcher zu schließen, ist ein Dauerthema. Jetzt haben wir einen Schritt tun können. Wir wollen auch einschränken, dass Zahlungen von Lizenzgebühren überhand nehmen, um Steuern zu vermeiden. Notfalls müssen wir nationale Maßnahmen ergreifen, auch wenn das nicht die ideale Lösung in Europa ist. Aber wenn nichts vorangeht, kann man das nicht ausschließen. Wir reden auch über die verbesserte Kontrolle von Verrechnungspreisen, damit Konzerne Gewinne nicht einfach zwischen Tochtergesellschaften hin und her schieben können. Es bewegt sich etwas, aber es bewegt sich sehr zäh – es hat eben jedes Land seine Interessen im Blick und will sie verteidigen.

BZ: Von der EU zurück in die deutsche Politik: Kommt die Pkw-Maut? Ihr Parteikollege Willi Stachele hat gerade davor gewarnt. In der jetzt vorgestellten Form müssen auch Schweizer und Elsasser, die mit dem Auto zum Einkaufen kommen, die Abgabe zahlen.

Schäuble: Durch Vorgaben des Koalitionsvertrags liegt die Latte in Sachen Pkw-Maut ziemlich hoch. Wir werden jetzt alle Fragen prüfen, etwa im Zusammenhang mit der Finanzverfassung und auch das Verhältnis zwischen Ertrag und Verwaltungsaufwand. Wir haben gerade die Verwaltung der Kfz-Steuer von den Ländern auf den Bund übertragen, genau gesagt auf den Zoll. Dass der zur gleichen Zeit neue Aufgaben wegen der Pkw-Maut übernehmen soll, treibt selbst der hochqualifizierten und engagierten Zollverwaltung den Schweiß auf die Stirn.

Das Gespräch führten Thomas Hauser und Jörg Buteweg.