„Wir haben es mit dem Kapitalismus übertrieben“



SPIEGEL-Gespräch, SPIEGEL vom 27.10.2020

Die Aktivistin Luisa Neubauer, 24, und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, 78, streiten über die richtigen Antworten auf den Klimawandel, die Schuld der älteren Generation und die Langsamkeit der Demokratie.

SPIEGEL: Herr Schäuble, hat diese Begegnung mit Luisa Neubauer für Sie auch etwas Unangenehmes?

Schäuble: Nein, ich freue mich, sie kennenzulernen. Wieso sollte mir das unangenehm sein?

SPIEGEL: Weil Fridays for Future Ihnen, Ihrer Partei und Ihrer Generation vor Augen führt, was Sie in der Klimapolitik alles versäumt haben. Und welche Probleme Sie damit künftigen Generationen hinterlassen.

Schäuble: Ich würde mir nicht jede Ihrer Formulierungen zu eigen machen, aber im Kern ist Ihre Beschreibung nicht zu bestreiten, fürchte ich. Da ist es doch erst recht schön, Menschen kennenzulernen, die nachholen, was wir versäumt haben.

SPIEGEL: Frau Neubauer, nehmen Sie ihm die Freude über Ihren Aktivismus ab?

Neubauer: Ehrlich gesagt klingt das für mich etwas merkwürdig. Wir sagen ja nur, was seit Jahrzehnten bekannt ist. Die Klimakrise ist extrem gut erforscht. Man wusste, dass sie dramatischer wird, je länger man wartet, dass die nötigen Gegenmaßnahmen dadurch immer einschneidender werden. Die Politik hat sich bei vollem oder zumindest ausreichendem Bewusstsein entschieden, nicht zu handeln.

SPIEGEL: Werfen Sie das Herrn Schäuble und seiner Generation vor?

Neubauer: Ach, Vorwürfe sind schnell destruktiv, und die Klimakrise ist schon destruktiv genug. Mittlerweile haben alle demokratischen Parteien und viele Minister öffentlich erklärt, sie wollten mehr tun. Reden wir lieber darüber.

SPIEGEL: Vielleicht verrät der Blick zurück aber etwas Grundsätzliches über den Zusammenhang von Demokratie und Klimakrise. Warum hat man spätestens in den Neunzigern nicht entschiedener gehandelt, Herr Schäuble?

Schäuble: Willy Brandt hat 1961 im Wahlkampf gefordert, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau werden. Wenn man damals ein weißes Hemd trug, war es dort wegen der Luftverschmutzung nach Stunden reif für die Wäsche. Ich habe später als Kanzleramtschef immer wieder diskutiert, ob man nicht Schuldenerlasse für Staaten an den Erhalt der tropischen Regenwälder knüpfen kann. Um die Umwelt hat man sich schon gekümmert. Aber es geht in den Mühlen der Politik eben alles so langsam, und die Widerstände und Bedenken sind groß.

SPIEGEL: Warum geht es so langsam?

Schäuble: Wir haben uns wie alle anderen verhalten. Das ist keine Entschuldigung, das weiß ich. Einerseits sprach man in den Achtzigern und Neunzigern wenig über CO2, eher über diese Kühlmittel, die das Ozonloch verursacht haben …

Neubauer: … FCKW …

Schäuble: … genau. Es ist schon so lange her, dass ich die Abkürzung beinahe vergessen hätte. Dieses Problem hat man gelöst. Aber da waren auch noch ganz andere Sorgen: Es ging damals darum, dass die Menschen Wohlstand hatten und nach Italien fahren konnten. Wie Brecht gesagt hat: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Erst kommt das Fressen, dann die Umwelt. So war es.

SPIEGEL: Haben Sie ein bisschen Verständnis für diese Erklärung, Frau Neubauer?

Neubauer: Nicht wirklich, wir reden hier ja nicht über die Nachkriegszeit. Anfang der Neunziger hat man sich in Rio zusammengesetzt und festgestellt, dass sich wegen der Erderwärmung dringend etwas ändern muss. Die Politik hat danach aber entschieden, das zu ignorieren. Die Frage des Ozonlochs hat man hingegen ernst genommen – man hat das Problem priorisiert, die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt, und siehe da – das Problem wurde weitgehend gelöst. Daran erkennt man: Es ist eine Entscheidung, ob man eine globale Krise ignoriert oder ernst nimmt. Heute ist die Lage allerdings komplizierter als beim Ozonloch. Wir erleben mehrere Umweltkrisen gleichzeitig, wir erreichen die Grenzen des Planeten.

Schäuble: Es stimmt, wir haben mit den Prozessen, die uns diesen unglaublichen, atemberaubenden Wohlstand gebracht haben, Kosten erzeugt, die zu hoch geworden sind. Wir haben es mit dem Kapitalismus übertrieben. Das sieht man an den Steueroasen. Am Klimawandel, am Artensterben, am Zustand der Ozeane. Wenn ich von 38 Grad Außentemperatur in Sibirien lese, wird mir ganz anders.

Neubauer: So sieht eine um gut ein Grad wärmere Welt aus, wie wir sie jetzt haben. Wir rasen aber auf eine am Ende des Jahrhunderts drei bis fünf Grad wärmere Welt zu. Dass politische Prozesse langsam sind und Abwägungen nötig: keine Frage. Aber man muss diese existenzielle Krise der Menschheit auch als solche behandeln.

Schäuble: In der Politik hat man es immer mit vielen Krisen gleichzeitig zu tun. Als man mit großer Sicherheit den CO2-Ausstoß als entscheidende Ursache für den Klimawandel ausgemacht hatte …

Neubauer: … das war, wohl gemerkt, spätestens in den Achtzigern …

Schäuble: … stand gleichzeitig die Forderung im Raum, aus der Atomkraft auszusteigen. Es wird viel gefordert, und es geht nicht alles gleichzeitig. Sogar Greta Thunberg hat gesagt, man müsse über Atomkraft nachdenken.

Neubauer: Hat sie nicht! Sie hat den Weltklimarat zitiert. Es ist eine Hochrisikotechnologie, die eine kleine Rolle spielen kann, aber extrem teuer ist, aufwendig und nicht konkurrenzfähig zu erneuerbaren Energien.

Schäuble: Das weiß man doch erst, wenn man es macht! Sie argumentieren hier wie eine Politikerin, wenn ich das mal sagen darf.

Neubauer: Überhaupt nicht, ich paraphrasiere nur den IPCC, den Weltklimarat.

Schäuble: Worum es mir geht: Man kann nicht immer nur eine Sache priorisieren, auch wenn man völlig überzeugt ist, dass man richtigliegt. Politik besteht nicht nur aus einem Thema. Und sie besteht nicht nur aus einer Haltung. Es ist das Recht der Jungen zu drängen, und es ist die Pflicht der Politik, darauf hinzuweisen, dass es viele Probleme gibt, nicht nur das eine.

Neubauer: Es ist ein grundsätzlicher Fehler, die Klimakrise als ein Thema unter vielen zu behandeln. Die planetare Zerstörung und die zunehmende und existenzbedrohende Degradierung von Lebensgrundlagen ist viel eher ein Aggregatszustand — er berührt alles, jeden Lebensbereich. Wer eine stabile Demokratie will, eine gute Wirtschaft, der braucht einen stabilen Planeten. Es geht nicht um die Umwelt oder das Klima an sich — es geht um uns Menschen. Wir ertragen die Klimakrise irgendwann nicht mehr.

SPIEGEL: Herr Schäuble hat mal gesagt: „Der Umstieg in ein klimabewusstes Leben ist zu meistern, wir haben in der Geschichte viel größere Herausforderungen bewältigt.“ Das stimmt also nicht?

Neubauer: Der erste Teil des Satzes stimmt. Die Wissenschaft sagt: Wenn wir es wirklich wollen, können wir das schaffen, auch wenn es eine gigantische Herausforderung wird. Der zweite Teil inspiriert, ich finde ihn aber auch schwierig: Wir erleben zum ersten Mal eine planetare Krise in diesem Ausmaß, in der selbst die schönsten Worte nicht helfen, weil sich die Physik davon nicht beeindrucken lässt. Das unterscheidet die Krise so sehr von anderen politischen Krisen.

SPIEGEL: Teilen Sie diese Beschreibung, Herr Schäuble?

Schäuble: Da ist etwas dran. Es reicht aber trotzdem nicht, dass Wissenschaftler oder engagierte junge Leute das feststellen. Demokratisch kann man nur etwas ändern, wenn man Mehrheiten gewinnt. Dazu muss man Druck machen, sonst passiert gar nichts. Irgendwie muss das zu schaffen sein.

Neubauer: Es wäre auch zu schaffen — wenn wir schnell und entschieden handeln würden. Da kommen wir nun zu Ihrem Ausspruch zurück: Was Menschen nicht alles gemeinsam geschafft haben, auch in diesem Land! Mauern zu Fall zu bringen, Menschenrechte zu erkämpfen, zum Mond zu fliegen! Wenn Menschen gemeinsam handeln, ist fast alles möglich.

Schäuble: Es ist allerdings nicht einfach, den Menschen unsere Art zu leben ausreden zu wollen. Weder den Menschen hier noch denen, die sich uns zum Vorbild nehmen. Auf der ganzen Welt, in China vor allem.

Neubauer: Umso größer ist unsere Verantwortung, Gesellschaftsmodelle und Wohlstandsmodelle zu entwickeln, die weltweit auf Dauer funktionieren können. Das aktuelle Modell ist untauglich.

SPIEGEL: Wie kann ein schnelles, beherztes Handeln in jenen demokratischen Strukturen gelingen, die Sie beide schätzen? Sie haben beide die Schwächen der Demokratie beschrieben: Es geht oft nur langsam voran.

Schäuble: Demokratie ist das ständige Ringen um Mehrheiten zwischen unterschiedlichen Interessen. Der Wandel vollzieht sich langsam, aber die wachsende Unzufriedenheit mit unserer bisherigen Klimapolitik führt zu Verschiebungen. Die Grünen werden stärker. Der Pkw ist nicht mehr des Deutschen liebstes Kind. Die Gesellschaft verändert sich. Vielleicht zu langsam.

Neubauer: Auf jeden Fall zu langsam, gemessen an Paris und den wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Schäuble: Dann eben ohne „vielleicht“. Aber so ist Demokratie. In der Analyse bin ich wahrscheinlich näher bei Ihnen, als Sie vermuten. In der Frage, wie man das Problem löst, bin ich skeptischer als Sie, weil ich zwei Generationen älter bin und weiß, wie schwierig es ist, schon national Änderungen durchzusetzen. Aber wenn ich vor der Alternative stehe, etwas schnell oder langsam durchzusetzen, bin ich eher für langsam. Denn der Preis für schnelles Handeln ist der Verlust der Freiheit.

Neubauer: Der Preis für langsames Handeln ist eine eskalierende Klimakrise. Und nichts wird uns mehr Freiheiten rauben als diese Krise. Je langsamer wir sind, desto größer die Zerstörung, desto größer am Ende die Freiheitseinschränkung. Was passiert, wenn wir nicht handeln? Wie viel Freiheit bleibt dann übrig? Corona hat doch im Kleinen gezeigt, was passiert, wenn wir unvorbereitet in Krisen rutschen.

SPIEGEL: Ein Kind, das heute geboren wird, könnte in Ihrem Alter, Herr Schäuble, eine heißere Welt erleben als je ein Mensch zuvor. Was würde das für die Demokratie bedeuten?

Schäuble: Ich weiß mit meiner bescheidenen Geschichtskenntnis auch, dass in 70 Jahren nichts so sein wird, wie wir es heute vorhersagen. Nur weil wir seit dem Zweiten Weltkrieg eine relativ stabile Lage und scheinbar lineare Entwicklung hatten, glauben wir gern, dass es so weitergehen müsste.

Neubauer: Der Vergleich hinkt. Wir können nämlich Klimaszenarien entwerfen, und die waren bislang sehr treffsicher, sie haben die Gefahren eher noch unterschätzt. Auch die Gefahr der Kipppunkte ist real. Also dass wir an Punkte kommen, an denen es praktisch egal ist, welche Erfindungen wir in die Welt setzen, weil sich die Dynamiken verselbstständigt haben und unkontrollierbar werden. Wenn ich mal in einer Welt leben sollte, in der große Teile Indiens nicht mehr bewohnbar sind, habe ich große Zweifel, dass so eine Welt wirklich demokratisch und frei sein kann.

Schäuble: Ich will gar nicht widersprechen, nur ergänzen, umso mehr muss man jetzt ganz altmodisch um Mehrheiten ringen. Wir müssen die Welt eben überzeugen, dass wir schneller werden müssen. Da helfen übrigens Krisen. Da hilft auch der Druck, den Sie machen.

SPIEGEL: Herr Schäuble betont immer wieder, wie wichtig der Druck von jungen Menschen sei, um andere Menschen zu überzeugen. Viele Politiker betonen das. Gefällt Ihnen diese Rolle, Frau Neubauer?

Neubauer: Ich finde eher, die Politik weigert sich an dieser Stelle, ihren Job zu machen. Wie soll sich ausreichend Bereitschaft aufbauen, wenn das politische Signal an uns ist: Bitte nicht zu radikal! Man erwartet von den Menschen, dass sie eine Krise ernst nehmen, ohne dass ihnen das politisch irgendwo vorgelebt wird. Wir machen schon Druck, keine Sorge. Aber am Ende sind wir auf Regierungen angewiesen, die sich entschlossen der Wirklichkeit stellen und bereit sind, sich selbst und den Menschen etwas zuzumuten. In der Coronakrise haben wir gesehen, dass entschlossenes Handeln Berge versetzen kann.

SPIEGEL: Warum schafft es die Bundesregierung eigentlich nicht, die Pariser Klimaziele zu erfüllen, Herr Schäuble?

Schäuble: Dass wir das Pariser Abkommen nicht einhalten, ist eine Schande. Man darf uns deshalb auch gern ein schlechtes Gewissen machen. Man darf Druck machen. Aber damit hat man noch keine Mehrheit organisiert.

Neubauer: Die demokratischen Mehrheiten für das Ziel gibt es doch längst. Im Paris-Abkommen haben sich Regierungen auf ein Ziel geeinigt, auch demokratisch legitimierte Regierungen wie die deutsche.

Schäuble: Die Weltpolitik ist kein Amtsgericht. Man muss all das immer noch national umsetzen.

Neubauer: Über die Umsetzung und den richtigen Weg kann man auch gern streiten. Nur das Ziel darf nicht infrage stehen. Jede demokratische Partei sollte heute einen Plan haben, wie die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Deutschland hat sich dazu verpflichtet. Faktisch stellt man aber die Ziele jedes Mal infrage, wenn man nationale Ziele verhandelt, die nicht mit dem Abkommen vereinbar sind.

Schäuble: Da haben Sie recht.

SPIEGEL: Was wäre der richtige Weg aus diesem Dilemma?

Schäuble: Den einen Weg kennt die Politik nicht, deshalb darf sie ihn auch nicht vorgeben wollen. Sie muss Ziele vorgeben und dafür sorgen, dass keiner betrügt wie zum Beispiel beim Diesel.

Neubauer: Dieser Ansatz hat in den 30 Jahren, in denen Sie Politik mitgeprägt haben, dazu geführt, dass drei Viertel des arktischen Meereises weggeschmolzen sind. Ich bezweifle, dass wir in den nächsten zehn Jahren andere Ergebnisse bekommen, wenn wir nichts an den Methoden ändern.

Schäuble: Es wird nur mit Effizienz, Wettbewerb, Markt und Technologieoffenheit gehen. Wir müssen Ressourcenverbrauch teurer machen. Ich bin für einen sehr viel höheren CO2-Preis, der kann gerne bei 80 Euro pro Tonne liegen. Ich bin aber dagegen, allein Verzicht zu predigen. Ich bin auch gegen den Versuch von Bürokratien, den Menschen dauernd etwas vorzuschreiben.

SPIEGEL: Frau Neubauer, in einem offenen Brief, den Sie unter anderem mit Greta Thunberg geschrieben haben, steht: „Sogar ein Kind kann sehen, dass die ökologische und die Klimakrise nicht im heutigen System gelöst werden können.“ Welches System schwebt Ihnen denn vor?

Neubauer: Ich denke, anders als viele, die im 20. Jahrhundert viel Zeit verbracht haben, nicht an den Kommunismus oder die DDR. Konkret: Ich finde es fatal, dass wir in bestehenden Verträgen eine Erderwärmung um mehr als zwei Grad bereits beschlossen haben. Zum Beispiel mit Verträgen, die zwischen Ölfirmen und Staaten oder Investoren bestehen. Das, was vertraglich zugesichert noch gebuddelt, gebaggert, gebohrt und gefällt werden darf, führt uns in die Katastrophe. Das kann man berechnen. Die Folgerung ist einfach: Viele dieser Verträge müssen wir auflösen.

Schäuble: Meinen Sie das wirklich so, wie es klingt?

Neubauer: Ja. Denken Sie nur an Siemens: Die liefern eine Signalanlage für Schienen, die zu einer Kohlemine in Australien führen, die überhaupt nicht angegraben werden darf, wenn man das Pariser Abkommen einhalten will. Eigentlich würde er gern aussteigen, sagte der Siemens-Chef einmal. Aber sie kommen aus dem Vertrag nicht mehr raus, weil ein Ausstieg zu teuer würde. Solche Verträge müsste man lockern. Aber das geht nicht.

SPIEGEL: Das Rechtssystem setzt darauf, dass man sich auf Verträge verlassen kann. Darauf beziehen Sie sich ja auch, wenn Sie das Pariser Abkommen hochhalten.

Neubauer: Es ist möglich, Verträge aufzulösen — der Ausstieg aus dem Atomausstieg wurde wegen Fukushima durch eine politische Entscheidung rückgängig gemacht. Man muss es nur wollen. Dann gibt es auch einen Weg. Verträge oder Vereinbarungen werden so oder so gebrochen werden. Die Frage ist nur, welche. Zurzeit ist es vor allem das Pariser Abkommen.

SPIEGEL: Herr Schäuble hat in diesem Gespräch einige Versäumnisse eingeräumt. Welche Fehler haben Sie und Fridays for Future in den vergangenen zwei Jahren gemacht, Frau Neubauer?

Neubauer: Eine Bewegung wie uns gab es noch nie. Alles, was wir machen, machen wir zum ersten Mal. Da macht man unweigerlich Fehler. Der größte Fehler ist aber, dass es uns geben muss. Es sollte nicht nötig sein, dass wir ununterbrochen fast jeden Tag seit zwei Jahren insistieren müssen, dass die Regierung Verträge wie das Pariser Klimaabkommen einhält.

SPIEGEL: Haben Sie nach diesem Austausch mehr Zuversicht, dass unser parlamentarisches System die Klimakrise entschieden und schnell genug angeht?

Schäuble: Das ist eine unfaire Frage. Wenn Frau Neubauer jetzt Ja sagt, ist es Quatsch. Und wenn sie Nein sagt, ist es unfreundlich.

Neubauer: Es gibt zunächst wenig Anlass zur Zuversicht. Gerade erst hat die deutsche Politik ein Kohlegesetz verabschiedet, von dem die Wissenschaftler, die uns beraten, sagen: Es ist weit entfernt von dem, was notwendig wäre. Unterdessen werden im Rheinland Dörfer für die Braunkohle zerstört, und in Hessen will man einen Wald für eine Autobahn roden. Gleichzeitig ist es gut zu sehen, dass es Menschen gibt, die sagen, dass mehr gemacht werden muss. Ich hoffe, Herr Schäuble ist damit nicht allein — und vor allem hoffe ich, er handelt entsprechend.

SPIEGEL: Es gab heftige Kritik am Kabarettisten Dieter Nuhr, der es gewagt hatte, in seinem Programm ein paar Witze über Greta Thunberg einzustreuen. Darf man böse Witze über Greta machen?

Neubauer: Ich habe keine Ahnung, was er genau gesagt hat, aber ich finde es irritierend, wenn ein Mann wie Dieter Nuhr es offenbar für nötig hält, über eine Person wie Greta Witze zu machen. Das sagt wahrscheinlich mehr über Dieter Nuhr als über Greta aus.

Schäuble: Man darf immer Witze machen. Aber Herr Nuhr sollte lieber Witze auf meine Kosten machen.

SPIEGEL: Frau Neubauer, Herr Schäuble, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch moderierten die Redakteure Markus Feldenkirchen und Jonas Schaible im Reichstagsgebäude in Berlin.