„Wir brauchen einen Staat, der in der Lage ist, das Recht durchzusetzen“



Bundesinnenminister Schäuble im Interview mit „Berlin direkt“ zu „Datenschutz in Kommunikationsunternehmen“

ZDF: Herr Schäuble, ihre Schwesterpartei CSU kündigt an, dass sie zu einem Kampf um Kompromisse nicht mehr bereit sei. Hat die Große Koalition so überhaupt noch eine Arbeitsgrundlage?

Wolfgang Schäuble: Wir müssen das umsetzen, was wir verabredet haben. Daran muss weiter gearbeitet werden. Wir haben nicht vor, im letzten Jahr der Legislaturperiode viele Dinge neu zu machen. Da wird manches, wie wir jetzt gesehen haben, auch durch die wahnsinnig gestiegenen Energiepreise besonders schwierig. Aber es ändert nichts daran, dass die Absprachen, die wir miteinander getroffen haben, auch Schritt für Schritt umgesetzt werden.

ZDF: Einer Ihrer veritablen Ministerpräsident sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Wie lange hält die Koalition noch?

Schäuble: Bis zum Ende der Legislaturperiode. So steht es im übrigen auch im Grundgesetz. Die Große Koalition war nicht etwas, das sich beide Seiten gewünscht haben – der Wähler hat entschieden. Die Große Koalition hat viele große Erfolge, wenn Sie an die Entwicklung am Arbeitsmarkt, an die Staatsfinanzen, die wirtschaftliche Entwicklung denken. Wir sollten es auch nicht schlechter reden, als es bisher gewesen ist.

ZDF: Ein anderes Thema beherrscht derzeit die Schlagzeilen. In den letzten Monaten ist viel zusammen gekommen, ein ganzes Sündenregister der deutschen Wirtschaft. Ist das eine Parallelgesellschaft, wo die Gesetze nicht mehr zählen?

Schäuble: Nein. Man muss sich vor Verallgemeinerungen immer ein bisschen hüten, aber es macht schon Sorge. Die Häufung dieser problematischen Fälle, die führende deutsche Unternehmen betreffen, ist natürlich geeignet, Vertrauen in unsere Ordnung zu untergraben. Eine freiheitliche Ordnung beruht auf Vertrauen und diejenigen, die herausgehobene Verantwortung haben, müssten besonders sorgfältig damit umgehen.

ZDF: Sprechen wir über den Einzelfall, die Deutsche Telekom. Sie haben morgen ins Innenministerium geladen, man kann fast sagen zum Rapport. Hat der neue Vorstand zu lange gewartet, bis er den Staatsanwalt und auch die Bundesregierung informiert hat? Sie sind immer noch der größte Eigner.

Schäuble: Das kann ich nicht beurteilen. Die Staatsanwaltschaft führt ein Ermittlungsverfahren, das macht sie unabhängig. Ich habe die beteiligten Unternehmen und Verbände zu einem Gespräch mit meinem Staatssekretär Herrn Beus gebeten, weil wir aus dem, was jetzt bekannt geworden ist, überlegen müssen: Funktionieren im Rahmen der bestehenden Gesetze, die institutionellen Vorkehrungen in den Unternehmen hinreichend gut? Müssen wir Weiteres tun? Manche fordern weitere Gesetze. Ich bin gegen Schnellschüsse. Deswegen habe ich die Branche, die beteiligten Unternehmen, zu einem ersten Gespräch eingeladen. Wir werden nicht zu Ergebnissen kommen, aber es ist besser, man redet miteinander und versucht, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, denn sicher ist die ganze Branche von dem Vertrauensverlust betroffen.

ZDF: Aber Sie stellen jetzt Fragen, Herr Schäuble, und die Bürger erwarten Antworten darauf. Es ist Missbrauch geschehen, und fast jeder hat das Gefühl, dass er nicht mehr sicher ist, wenn er mit dem Handy telefoniert oder wenn er ins Internet geht.

Schäuble: Ob Missbrauch geschehen ist, untersucht die Staatsanwaltschaft. Das ist in unserem Rechtsstaat genau geregelt, da muss ich mich raushalten. Ich muss mich damit beschäftigen, da gibt es auch keinen Schnellschuss – das wäre ganz falsch. Diese aufgeregten Debatten: Die einen fordern Gesetzesänderungen, bevor sie den Sachverhalt überhaupt nur einigermaßen aufgeklärt haben. Ich muss mit den Beteiligten gründlich prüfen, ob die gesetzlichen Vorkehrungen ausreichen. Das kann man nur mit den Beteiligten. Reichen die institutionellen Vorkehrungen? Kann in der Verantwortung der Wirtschaft, der Unternehmen selbst, besser sichergestellt werden, dass die Gesetze eingehalten werden? Ganz offensichtlich ist gegen Gesetze verstoßen worden. All die Fragen werden wir klären. Da werden wir morgen nicht zum Ende kommen, aber anfangen muss man.

ZDF: Haben Sie denn Vertrauen in René Obermann, in den Chef der Deutschen Telekom? Ist er nicht erst dann in die Öffentlichkeit gegangen, als sich nichts mehr verschweigen ließ?

Schäuble: Bisher habe ich nicht gehört, dass er in dem Verfahren von der Staatsanwaltschaft irgendwie ein Beschuldigter wäre. Es ist auch nicht meine Sache, jetzt Vertrauenserklärungen abzugeben. Ich jedenfalls glaube, dass es richtig ist, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren führt. Im Übrigen muss man dazu sagen: Es war die Telekom selbst und der Vorstandsvorsitzende, der Strafanzeige erstattet hat.

ZDF: Noch mal zur Frage des Missbrauchs, Herr Schäuble: Im Rahmen anderer Interessen als Innenminister sind Sie auch dabei, beim Kampf gegen den Terrorismus Millionen von Daten zu speichern. Ist das nicht das Problem, dass sich der Bürger vor dem Eingriff in seine Privatsphäre nicht mehr sicher sein kann?

Schäuble: Nein, der Bürger muss sicher sein, dass die Gesetze eingehalten werden, und das muss der Staat garantieren. Dazu braucht er auch bestimmte Kontrollbefugnisse unter engen gesetzlichen Begrenzungen und Voraussetzungen. Wir brauchen einen Staat, der in der Lage ist, das Recht durchzusetzen. Gesetze haben wir, nur wird dagegen verstoßen. Das kommt bei Menschen immer vor, aber wenn es große Unternehmen tun, ist es besonders schlimm. Wir müssen darauf achten, dass die Gesetze eingehalten werden.

ZDF: Reichen die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft wirklich aus?

Schäuble: Das weiß ich nicht. Deswegen führe ich das Gespräch. Wir wollen es aber zunächst einmal versuchen und wenn es nicht ausreicht, müssen wir überlegen: Können wir weitere Gesetze machen? Aber das steht am Ende und nicht am Anfang.

Zum Video