„Sicherheit ist die Bedingung für Toleranz“



Interview mit Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble in der „Schwäbischen Zeitung“

Schwäbische Zeitung: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) weist trotz des harten Vorgehens der chinesischen Regierung gegen tibetische Demonstranten jeden Gedanken an einen Boykott der Spiele zurück. Überzeugt Sie diese Position?

Schäuble: Fast alle Nationen sind sich darin einig, dass die Spiele stattfinden sollen. Auch der Dalai Lama sieht das so. Ich glaube, dass die Olympischen Spiele in China eine Öffentlichkeit schaffen, die gut für Tibet ist. Da man heute Olympische Spiele als mediales Großereignis gestaltet, mussten die Chinesen auch wissen, dass es nicht nur um eine gute Organisation – die sie sicher hinbekommen – und die sportliche Seite geht, sondern dass die Welt auch aufmerksam auf das Land blickt. Als Sportminister denke ich aber auch ganz besonders an die Sportler. Sie müssen Gewissheit haben, dass die Spiele stattfinden. Sie leben Jahre darauf hin, und es ist nicht die ideale Vorbereitung, wenn im Vorfeld der Spiele darüber diskutiert wird, ob es überhaupt Wettkämpfe geben wird.

Schwäbische Zeitung: Kommen wir zum Thema Sicherheit und Kampf gegen den Terror. Wird sich, wenn in den USA ein neuer Präsident antritt, die Anti-Tenor-Politik ändern?

Schäuble: Ein grundsätzlicher Wandel in der amerikanischen Außenpolitik ist nicht zu erwarten. Sei es McCain von den Republikanern oder seien es die Kandidaten Obama und Clinton von den Demokraten – sie haben alle eine ähnliche außenpolitische Strategie. Ich halte nichts von Unilateralismus, also einseitigen Entscheidungen. Am besten ist es, man entscheidet in den Strukturen von Bündnissen. Aber wer diese multilateralen Entscheidungen will, der muss sich auch multilateral engagieren. In Europa gibt es zu viele, die das Vorgehen der Amerikaner kritisiert haben, ohne selbst zu Engagement und Übernahme von Verantwortung bereit gewesen zu sein. Damit ermuntert man diejenigen in den USA, die es sowieso lieber alleine machen wollen. Das macht die Welt nicht sicherer.

Schwäbische Zeitung: Aber ist der von den USA erklärte „Krieg gegen den Tenor nicht das falsche Mittel? Er gibt den Terrorgruppen seit Jahren ihre Daseinsberechtigung, ohne Erfolg zu bringen.

Schäuble: Das ist letztendlich eine Frage des Sprachgebrauchs. Für uns hat das Wort „Krieg“ eine ganz andere Bedeutung als das englische Wort „war“. Richtig ist aber, dass die Sicherheit im 21. Jahrhundert nicht allein mit militärischen Mitteln zu gewährleisten ist. Und wahr ist auch, dass es diese neue terroristischen Bedrohungen gibt, durch die eine Trennung zwischen innerer und äußerer Bedrohung aufgeweicht wird.

Schwäbische Zeitung: Dann sind Sie also für eine neue Strategie?

Schäuble: Die NATO hat nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erstmals in ihrer Geschichte den Bündnisfall ausgerufen, und in dieser Situation befinden wir uns immer noch. Es ist dennoch wahr, dass die von den USA getroffene Entscheidung, mit. einer Koalition der Willigen in den Irak einzumarschieren, nicht nur Erfolge gebracht hat. Auch der Einsatz in Afghanistan hat sich als sehr schwierig erwiesen. Wir müssen also über neue Strategien für mehr Sicherheit nachdenken und nicht denjenigen, die Hass und Konfrontation wollen, durch den Kreislauf von Aktion und Reaktion noch in die Hände spielen. Das heißt: Wenn wir nicht so sehr auf militärische Mittel setzen wollen, müssen wir die nachrichtendienstlichen Anstrengungen verstärken, um den Sicherheitsbehörden genügend Informationen zur Verfügung stellen zu können. Nur so kann man Anschläge verhindern, statt dass man nachher darauf reagieren muss.

Schwäbische Zeitung: Wie kann man mehr Informationen beschaffen, ohne dass Polizei und Nachrichtendienste unzulässigerweise miteinander verschmelzen – Kritiker befürchten, das dies durch das geplante Gesetz zur Rolle des Bundeskriminalamtes (BKA) drohen könnte?

Schäuble: Da sehe ich absolut keine Gefahr. Die Kompetenzen sind ganz klar voneinander getrennt, Aufgabe von Nachrichtendiensten ist die Informationsbeschaffung – der Bundesnachrichtendienst tut dies im Ausland, Verfassungsschutz von Bund und Ländern im Inland. Polizeiliche Gefahrenabwehr ist Sache der Länderpolizeien; Grenzkontrolle einschließlich Flughäfen und Bahn ist Aufgabe der Bundespolizei. Und das Bundeskriminalamt mit seinen besonderen Fertigkeiten kann den Ländern auf Anfrage helfen oder wird bei Verfahren, die die Bundesanwaltschaft führt, mit den Ermittlungen beauftragt. Durch die Föderalismusreform des Jahres 2006 haben wir außerdem die Möglichkeit, demBKA Kompetenzen zur Abwehr der Bedrohung durch internationalen Terrorismus zu übertragen. Wir sind gerade dabei, das Gesetz zu schaffen Eine Zusammenarbeit all dieser Behörden gibt es im GTAZ, dem Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum hier in Berlin. Dort können die unterschiedlichen Behörden Informationen nach genau festgelegten Kriterien gemeinsam nutzen. Das ändert aber nichts an der klaren Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei.
Schwäbische Zeitung: Das klingt sehr vernünftig. Aber seit dem 11. September kann der Normalbürger doch den Eindruck haben, dass er viel stärker beobachtet und kontrolliert wird und zumindest subjektiv eine gewisse Einschränkung seiner Freiheitsrechte empfinden. Wie stellt der Staat sicher, dass bei eventuell abnehmender Bedrohung die Einschränkungen wieder zurückgenommen werden?

Schäuble: Wir üben so wenig Kontrolle wie möglich aus. Aber die Lebensbedingungen haben sich unter den neuen technologischen Möglichkeiten stark verändert. Die Menschen reisen in einem Maße, wie es vor 20 Jahren nicht denkbar war. Setzen Sie sich mal eine Stunde auf einen Flughafen oder schauen Sie in einen Containerhafen, was da umgeschlagen wird. Dort können Sie Globalisierung mit den Händen greifen. Diese Entwicklung macht uns anfälliger, verletzlicher. Unter diesen neuen Bedingungen müssen wir nun – Für die alte Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaates, das menschenmögliche Maß an Sicherheit zu gewährleisten, neue Antworten finden.

Schwäbische Zeitung: Was bedeutet das konkret?

Schäuble: Lassen Sie mich das am Beispiel der bereits erwähnten Mobilität verdeutlichen. Umfragen belegen, dass die Menschen beispielsweise akzeptieren, nur wenig Flüssigkeit im Flug-Handgepäck mitnehmen zu dürfen. Nachdem in Großbritannien Terroristen geplant hatten, mit Flüssigkeiten mehrere Flugzeuge in die Luft zu jagen, ist es den Passagieren lieber, stärker kontrolliert zu werden, als während des Fluges Angst vor einem Anschlag haben zu müssen. In einem weiteren Punkt stimme ich voll und ganz mit meinem amerikanischen Amtskollegen Michael Chertoff überein, der sagt, dass, wer in einer globalisierten Welt für Sicherheit sorgen will, kontrollieren muss, wer ins Land kommt. Daher haben wir mit den USA das Abkommen zur Übermittlung von Fluggastdaten geschlossen. Ich habe dabei erreicht, dass die Amerikaner Regeln akzeptieren, welche Daten davon gespeichert werden und welche nicht.

Schwäbische Zeitung: Sicherheit scheint für Sie der zentrale Begriff zu sein.

Schäuble: Ja, denn Sicherheit ist eine entscheidende Bedingung für Toleranz. Erinnern Sie sich an die Debatte über Jugendkriminalität Anfang des Jahres. Auslöser war vor allem, dass junge Ausländer einen Rentner in der Münchner U-Bahn verprügelten. Wenn wir es nicht schaffen zu vermitteln, dass der Staat die Menschen schützt und dass sie beispielsweise auch abends noch mit der U-Bahn fahren können, dann wird auch die Bereitschaft zur Toleranz gegenüber anderen abnehmen. Dann werden Fremdenfeindlichkeit und Extremismus wachsen. Und wenn sich die Älteren in dieser Gesellschaft nicht mehr sicher fühlen, steuern wir auf einen Zusammenprall der Generationen zu. Damit Freiheit, Menschenrechte und Toleranz bewahrt werden, muss der Staat auf der Basis von Gesetzen und nach dem Gebot von Verhältnismäßigkeit für Sicherheit sorgen.

Schwäbische Zeitung: Das hört sich dennoch an, als müssten wir zukünftig hinnehmen, dass viel mehr über unsere Privatsphäre bekannt wird, als das früher je der Fall gewesen wäre.

Schäuble: Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, in Hornberg im Schwarzwald. In einer solchen Kleinstadt gibt es ein hohes Maß an sozialer Kontrolle. Heute leben die Leute gerade in Großstädten viel anonymer. Aber gleichzeitig outen sich viele im Internet mit intimen Details aus ihrem Privatleben. Sie müssten sich diesen Medien nicht so stark ausliefern. Sie haben es also zum Teil auch selbst in der Hand.

(…)

Schwäbische Zeitung: Die SPD drängt darauf, ein neues Verfahren zum Verbot der NPD zu starten. Wie sehen Sie das?

Schäuble: Das Verbot einer Partei ist mit besonders hohen Hürden belegt. Wir müssen zunächst die Verfassungsfeindlichkeit eindeutig belegen, und zwar – wie es das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum ersten NPD-Verbotsverfahren gesagt hat – mit Mitteln, die nicht durch eingeschleuste V-Leute beeinflusst sind. Das ist das Problem. Ich habe also auf Drängen der SPD bei den Ländern nachgefragt, ob sie genügend verwertbares Material haben. Die Antwort ist: Wir können das nicht mit Sicherheit sagen.

Das Gespräch führten Sabine Lennartz und SZ-Politikchef Stefan Bergmann