„Opel sollte über Insolvenz nachdenken“



Handelsblatt: Herr Schäuble, nach den mageren Ergebnissen des Koalitionsausschusses: Beginnt jetzt der Wahlkampf?

Dr. Schäuble: Nein. Aber Große Koalitionen sind die Ausnahme in der Demokratie, deswegen ist auch die Absicht legitim, sie nicht fortzuführen. Die öffentlichen Erwartungen an den letzten Koalitionsausschuss waren völlig überzogen. Dass wir am Beginn des letzten halben Jahres der Großen Koalition noch große Initiativen starten, wo sie nicht durch äußere Ereignisse wie die Finanzmarktkrise erzwungen sind, ist abwegig.

Handelsblatt: Wird die Bezahlung von Managern zum Wahlkampfthema?

Dr. Schäuble: Im Wahlkampf wird jeder verwenden, was er will. Ich habe keine Probleme mit einer Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten beim Thema Managementgehälter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es klug ist, dass der Gesetzgeber anfängt zu regeln, wer in diesem Land wie viel verdient. Wir glauben, dass eine freiheitliche Lösung im Zweifel innovativer ist. Das Ordnungsprinzip der freiheitlichen Wirtschaft ist der Markt. Es gilt aber auch: Wer durch Übertreibungen, durch exzessives Profitstreben unsere Ordnung zerstört, muss damit rechnen, dass der Staat Rahmenbedingungen setzt. Für Schnellschüsse, etwa weitere Änderungen im Aktien- oder Gesellschaftsrecht, bin ich aber nicht zu haben.

Handelsblatt: Herr Schäuble, Sie haben vor kurzem angemahnt, Keynes ein bisschen genauer zu studieren. Reicht es jetzt?

Dr. Schäuble: In einer Situation, in der wir nicht dem konjunkturellen Auf und Ab, sondern extrem außergewöhnlichen Einflüssen ausgesetzt sind, muss der Staat ausgefallene Nachfrage ein Stück weit ersetzen. Denken Sie an den Auftragsrückgang im Maschinenbau – minus 35 Prozent, das ist angesichts der Krise nicht überraschend, aber trotzdem schlimm! Keynes hat aber auch gesagt, dass es keinen besseren Weg gibt, eine freiheitliche Gesellschaft zu zerstören, als durch Inflation. Daher müssen wir jetzt vorsichtig sein.

Handelsblatt: Heute ist das „Enteignungsgesetz“ im Bundestag. Wo liegt für Sie letztendlich die Grenze für staatliches Eingreifen?

Dr. Schäuble: Zunächst einmal: Wir fahren in der jetzigen Krisensituation alle auf Sicht. Niemand weiß derzeit, wie sich die Krise entwickelt. Der Staat muss aber Infrastruktur gewährleisten, und ein funktionierendes Bankensystem gehört dazu. Ohne dieses funktioniert eine arbeitsteilige Wirtschaft nicht. Das ist das Problem, das wir bei der Hypo Real Estate beheben wollen. Dazu kann es nicht ausgeschlossen werden, dass man ganz am Ende zu Enteignungsmaßnahmen greifen muss. Das ist für mich als Verfassungsminister schmerzlich. Ich habe daher sehr darauf geachtet, dass die Enteignung die Ultima Ratio bleibt. Deshalb sieht das Gesetz, das wir heute beraten, vor, dass zunächst zwingend der Versuch unternommen werden muss, auf einer Hauptversammlung zu einer gesellschaftsrechtlichen Lösung zu kommen. Außerdem ist der Zeitraum, in dem diese Maßnahmen ergriffen werden können, bis Ende Juni eng beschränkt. Das heißt: Es ist eine Maßnahme, die sich de facto wohl auf die HRE beschränken wird.

Handelsblatt: Die Kanzlerin sagt intern, im Gegensatz zur HRE sei Opel nicht systemrelevant.

Dr. Schäuble: Im Fall Opel geht es um die reale Wirtschaft. Wenn Unternehmen Not leiden, wenn Arbeitsplätze gefährdet sind, ist es die selbstverständliche Pflicht der Politik, sich zu kümmern. Das heißt aber noch lange nicht, dass Staatsbeteiligungen der richtige Weg sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Lösungen nicht durch die Politik entschieden wird, sondern besser durch den Markt.

Handelsblatt: Was heißt das konkret?

Dr. Schäuble: Ich meine, man sollte in Fällen wie Opel auch die Anwendung des Insolvenzrechts ernsthaft in Betracht ziehen. Unser modernes Insolvenzrecht ist ja gerade nicht auf die Zerstörung, sondern auf den Erhalt von wirtschaftlichen Werten ausgerichtet. In der öffentlichen Wahrnehmung spricht man bei der Insolvenz von Pleite oder Bankrott. Das ist aber falsch. Wir müssen begreifen, dass für das Durchstehen einer solchen Krise ein modernes Insolvenzrecht eine bessere Lösung ist als die Staatsbeteiligung. Das sieht aber natürlich ein ideologisch geprägter Linker anders.

Handelsblatt: Für Ihre Kernwählerschaft ist das alles nur schwer verdaubar.

Dr. Schäuble: Die Regierung hat die Pflicht, in dieser Krise seriös zu bleiben. Gerade in Zeiten der Krise wird in der Bundestagswahl gerade der gewinnen, der durch Seriosität überzeugt – und nicht durch populistische Themen wie die Sozialdemokraten. Die Menschen haben schwere Sorgen, daher haben Sie auch einen Anspruch darauf, dass die Politik hier mit Anstand handelt.

Handelsblatt: Der beste Wahlkampf ist es also, gut durch die Krise zu kommen?

Dr. Schäuble: Den Bürgern sind vor allem ein sicherer Arbeitsplatz und eine funktionierende Wirtschaft wichtig. Die Menschen wissen, dass es sich um eine ernsthafte Krise handelt. Aber sie reagieren mit viel Gelassenheit und zeigen ein hohes Maß an demokratischer Reife. Panikmache kommt nicht an.

Handelsblatt: Außenminister Steinmeier hat sich vor das Opel-Werktor gestellt …

Dr. Schäuble: Er stand zwar vor dem Werktor. Aber was hat er denn gesagt? Nichts. Jeder Beschäftigte bei Opel hat doch gesehen und gehört: Er hält eine Rede und hat inhaltlich nichts zu sagen. Ein Lehrer von mir hat einmal gesagt: Wenn einer nichts zu sagen hat, soll er schweigen. Vielleicht hat Herr Steinmeier an den zunächst viel umjubelten Auftritt Gerhard Schröders bei Holzmann gedacht. Herr Kollege Steinmeier soll sich lieber um die außenpolitischen Probleme Deutschlands kümmern. Das ist seine Aufgabe, und da kann er noch was erreichen.

Die Fragen stellten Peter Müller und Thomas Sigmund.

Das Interview wird mit freundlicher Genehmigung des Handelsblatts (www.handelsblatt.com) zur Verfügung gestellt.

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