Minister Dr. Schäuble im Gespräch mit dem Publizisten Ralph Giordano zum Thema Integration und zum Umgang mit Muslimen in Deutschland



Interview mit Bundesinnenminister Dr. Schäuble in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Giordano: Herr Schäuble, ein akutes Problem ist von den Politikern parteiübergreifend verdrängt worden – das einer schleichenden Islamisierung Deutschlands. Als ich 2007 Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma aufforderte, den Bau der Großmoschee in Ehrenfeld zu stoppen, weil das ein Machtanspruch ist, ein verräterischer Schritt von Leuten, die nichts Gutes im Schilde führen – da habe ich Hunderte Briefe bekommen von Leuten, die so denken wie ich, aber nicht in die rechte Ecke gestellt werden wollen. Wer heute den Moscheebau oder gar den Islam kritisiert, kriegt von links die Rassismuskeule zu schmecken; von rechts gibt es Vereinnahmungsversuche. Die Integrationspolitik ist geprägt von der Furcht, der Ausländerfeindlichkeit bezichtigt zu werden, eine Folge des Schulddrucks aus der Nazi-Zeit, der von interessierter Seite instrumentalisiert wird. Die Ausländer konnten nur deshalb zu uns kommen, weil niemand gewagt hat, eine millionenfache Zuwanderung nach den Interessen des Aufnahmelandes zu regulieren.

Schäuble: Ich bin nicht Ihrer Meinung. Die Politik verharmlost die Probleme nicht. Es gibt zwar eine nachwirkende Belastung deutscher Debatten durch unsere Vergangenheit. Mit dem Moscheebau und dem Islam hat dieser Schuldkomplex aber nichts zu tun. Die Ursachen für die Zuwanderung sind andere: Die Anwerbung von Gastarbeitern aus dem ländlichen Raum der Türkei war eine ausgesprochen egoistische, auf ökonomischen Notwendigkeiten basierende Entscheidung der Bundesrepublik. Dabei hat man sich nicht viel gedacht, auch die Zuwanderer nicht, besonders haben sie kaum überlegt, ob sie auf Dauer bleiben wollen. Nun sind sie hier, und die Integrationsdefizite sind mit der Zeit nicht kleiner, sondern größer geworden. Allerdings muss man auch sagen, dass die überwiegende Zahl der Zuwanderer gut integriert ist.

Giordano: Wie viele denn?

Schäuble: Wir haben mehr als 50.000 türkische Unternehmen, also einen erfolgreichen türkischstämmigen Mittelstand. Aber es stimmt: Es gibt eine Minderheit, die sich schlecht oder gar nicht integriert hat, das hat man lange nicht gesehen. In Gengenbach, der Kleinstadt, in der ich lebe, wohnen türkische Mitbürger, die gut integriert sind. Der Wunsch, eine Moschee zu haben, hat übrigens erst allmählich zugenommen.

Giordano: Das Thema hat eine neue Qualität bekommen durch den entlarvenden Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Seine Botschaft lautet: Lernt Deutsch, aber bleibt Türken. Und: Bildet einen Staat im Staate, aber nennt es nicht so! Wer will denn Gläubigen würdige Gebetsstätten verwehren? Aber zwischen Hinterhofmoschee und Großmoschee gäbe es doch Abstufungen. Denn nicht die Moschee, der Islam ist das Problem! Da stößt eine archaisch-patriarchalisch strukturierte Kultur auf die liberalste Gesellschaft der Welt, die Bundesrepublik Deutschland, und das mit dem Koran, der den Gläubigen erlaubt, sich in der Auseinandersetzung mit Ungläubigen zu verstellen. Der politische Islam ist ein gefährlicher Gegner. Anders als Sie, lieber Herr Schäuble, muss ich nicht diplomatisch sein. Ich sage: Erdogan ist ein Wolf im Schafspelz.

Schäuble: Es gibt Aspekte in Erdogans Kölner Rede, denen wir nicht zustimmen. Zufällig war ich kurz nach dem Brand in Ludwigshafen zu Gesprächen in Ankara, da habe ich Erdogan sofort heftig widersprochen, als er von einem zweiten Solingen redete. Das war ein völlig unangemessener Generalverdacht gegen die Deutschen. Wir sind kein Volk von Brandstiftern. Es gibt bis heute keine Anzeichen dafür, dass das in Ludwigshafen ein fremdenfeindlicher Anschlag war. Im Übrigen hat die Rede Erdogans gezeigt, warum es keine doppelte Staatsbürgerschaft geben darf, gegen die ich immer gewesen bin. Wir können den Zuwanderern diese Entscheidung nicht abnehmen. Erdogan hält sich aber in der Türkei an den Grundsatz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, anders als manche befürchtet haben.

Giordano: Für mich war die Rede Erdogans eine Kriegserklärung an unsere Gesellschaft. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen: Die Integration ist gescheitert, nicht allein durch deutsche Versäumnisse, sondern durch zementierte Parallelgesellschaften, in denen täglich massenhaft Dinge geschehen, die mit dem Grundgesetz nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Und das ganz im Gegensatz zu den Schalmeientönen unserer Multikulti-Illusionisten, xenophilen Einäugigen und Sozialromantiker. Zweifellos gibt es individuell gelungene Integration, aber ist die muslimische Minderheit kollektiv integrierbar? Und was, wenn nicht? Auch dann haben wir keine andere Wahl, als friedlich miteinander auszukommen. Leicht wird das nicht sein. In diesem Prozess bestehe ich auf meiner kulturellen Selbstbehauptung, ich will keine Kopftuch-, Tschador- oder Burka-Verhüllten auf deutschen Straßen sehen. Und ich will es sagen dürfen!

Schäuble: Wir beide sind ja so weit gar nicht auseinander. So hat die Bundesregierung durchgesetzt, dass ein Ehepartner, der aus der Türkei nach Deutschland kommt, wenigstens etwas Deutsch spricht. Das ist doch nur normal. Und natürlich müssen wir die Jungen besser erziehen – da wirkt Herr Erdogan mit, wenn er die Türken auffordert, Deutsch zu lernen und dafür zu sorgen, dass ihre Kinder bei uns eine Chance haben. Wir bestehen darauf, dass die Mädchen auch am Sportunterricht in der Schule teilnehmen. Dagegen gibt es Widerstand in vielen Familien, aber er wird geringer. Natürlich darf man die Probleme nicht verschweigen. Aber wenn wir zu viel Furcht schüren, ist das nicht richtig. Wir müssen den Muslimen signalisieren: Wenn ihr euch hier integriert, seid ihr willkommen!

Giordano: Es macht mir Angst, dass Sie so viel Verständnis haben – allzu viele wollen sich gar nicht integrieren. Bin ich deshalb ein Türkenschreck oder ein Anti-Muslim-Guru, habe ich zum Bürgerkrieg aufgerufen? Ich stelle mich vor jede Muslima, vor jeden Muslim, die rassistisch attackiert werden. Und es sind gerade die aus der Nazi-Zeit erkämpften Kriterien, die mich heute so sensibilisieren für die Gefahren, die aus dem Islam kommen. Ich erinnere nur an das Wort des türkischen Dichters Zafer Senocak, dass die Wurzeln der Schwierigkeiten, die der Islam heute hat, in der Denkstruktur des eigenen Glaubens liegen.

Schäuble: Und ich sage noch einmal: Die Menschen sind da, wir leben mit ihnen zusammen. Es ist nicht wahr, dass die Frauen in der Türkei alle nur unterdrückt sind. Wir müssen auch die positiven Dinge sehen, dann brauchen wir nicht zu verzweifeln.

Giordano: Herr Minister, die Großmoschee in Köln kostet 25 Millionen Euro. Wo kommen die her?

Schäuble: Das ist doch klar. Wenn der Verein Ditib die Moschee baut, kommt das Geld vom türkischen Staat.

Giordano: Genauer: von der Diyanet, der Religionsbehörde in Ankara, deren verlängerter Arm die Ditib ist. Mir ist aus glaubwürdigem Mund ein Gerücht zu Ohren gekommen: der Plan, 174 Sakralbauten zu errichten, die Deutschland in eine Plantage von Großmoscheen verwandeln würden.

Schäuble: Muslime, die in Deutschland leben, haben das Recht, ihre Religion auszuüben, und damit auch auf eine Moschee. Und wenn es da Widerstände gibt, wie in Köln, haben Bürger vielfältige Möglichkeiten, sich dagegen zu engagieren. Der Kölner Oberbürgermeister Schramma hat dort doch einen guten Kompromiss gefunden. Ich will zudem, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden, dass islamischer Religionsunterricht an den Schulen angeboten werden kann, aber nach den Regeln, nach denen wir christlichen und jüdischen Religionsunterricht erteilen, nämlich in Partnerschaft von Staat und Religionsgemeinschaft. Bisher werden die Imame vom türkischen Staat bezahlt.

Giordano: Wir haben das viel zu lange geduldet.

Schäuble: Deswegen ändern wir das gerade mit Hilfe der Deutschen Islamkonferenz.

Giordano: Herr Minister, da sind auch Leute von Milli Görüs bei der Konferenz dabei. Und das sind, mit Verlaub, üble Vertreter des politischen Islams.

Schäuble: Natürlich müssen wir Milli Görüs durch den Verfassungsschutz beobachten. Aber auch innerhalb dieser islamischen Organisation gibt es Unterschiede. Wenn Sie alle aus der Türkei stammenden Muslime in einen Topf werfen, dann sehen Sie nicht die heftigen Spannungen, die es zwischen ihnen gibt. Wir setzen auf den Dialog. Ich bin überzeugt, dass dies ein guter Weg ist, um Radikalisierungsprozessen entgegenzuwirken. Wir sagen auch den Leuten von Milli Görüs: Ihr müsst die Regeln unserer Rechtsordnung achten, dann seid ihr willkommen. Wenn nicht, müsst ihr die Strenge des Gesetzes spüren.

Giordano: Das sind leere Worte.

Schäuble: Herr Giordano, was wollen Sie denn machen?

Giordano: Womit Sie nur bestätigen: Das Kind ist doch schon in den Brunnen gefallen.

Schäuble: Nein, ganz und gar nicht. Die Deutsche Islamkonferenz hat dazu geführt, dass wir die Vielfalt islamischen Lebens in Deutschland sehen – da habe ich selbst viel dazugelernt. Dort sitzen Leute aus den muslimischen Verbänden mit ihren Kritikerinnen zusammen. Das sind spannende Diskussionen, denen sich jeder am Tisch stellen muss. Und dass beim Karneval die Türken den Streit um die Kölner Moschee mit einem eigenen Wagen humoristisch aufgegriffen haben, zeigt doch, dass Integration gelingen kann. Ich bin deshalb nicht so pessimistisch wie Sie.

Giordano: Ihr Optimismus sei Ihnen unbenommen. Aber das ändert nichts an meiner Überzeugung: Die türkisch dominierte muslimische Gesellschaft in Deutschland ist kollektiv nicht integrierbar.

Schäuble: Der Islam ist längst ein Teil unseres Landes. Das ist doch unbestreitbar. Und unser Land verändert sich dadurch. Gesellschaften müssen auf Veränderungen flexibel reagieren, um sie erfolgreich zu meistern. Wir sollten jedenfalls klar unterscheiden zwischen den Integrationsproblemen, die wir haben, und den Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus.

Giordano: Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber derzeit sind alle Terroristen Muslime. Das muss uns zu denken geben. Wir haben Glück gehabt, dass die beiden Kofferbomben nicht gezündet haben und dass drei andere Attentäter rechtzeitig erkannt werden konnten. Man stelle sich vor, was in diesem Land passieren würde, wenn wir Zustände wie in Israel bekämen. Dort hat es in den vergangenen drei Jahren etwa 3000 Opfer durch Anschläge und Raketenbeschuss gegeben. Wozu würde ein ähnliches Leid in Deutschland führen? Der demokratische Verfassungsstaat ist mir heilig. Ich kämpfe gegen jeden, der ihn zerstören will.
Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oliver Hoischen und Markus Wehner.
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