Keiner hat die Nachricht von der Maueröffnung geglaubt



In einem Interview mit der BILD der FRAU vom 29. August 2014 spricht Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble über seine Familie, Urlaubs-Selfies und den bewegendsten Moment seines politischen Lebens.

BILD der FRAU: Herr Schäuble, wie war Ihr Sylt -Urlaub? Können Sie eigentlich unbeschwert Ferien machen – oder gibt es immer eine Krisenhotline?

Wolfgang Schäuble: Es war dieses Jahr recht ruhig, nur gleich am Anfang gab es eine Telefonkonferenz der G7 -Finanzminister. Meine Frau fragte: Geht das jetzt so weiter? Dann wurde es aber ruhig. Ich habe viel gelesen, bin Handbike gefahren, habe mich mit meinen Enkeln und Kindern unterhalten.

BILD der FRAU: Die waren alle mit?

Wolfgang Schäuble: Ja, das ist bei uns Tradition: Wir mieten ein großes Haus – und die Kinder kommen alle mal vorbei. Eine meiner Töchter hat in dieser Zeit Geburtstag. Und den möchte sie immer mit uns auf Sylt feiern. Das war wieder sehr schön.

BILD der FRAU: Kennen Sie Selfies? Macht Familie Schäuble im Urlaub welche?

Wolfgang Schäuble: Ja, meine Enkel finden das toll. Ich seh mich allerdings nicht gern auf Fotos. Und die Buben haben mir auf Sylt gezeigt, wie man diese bunten Armbänder macht – Loom Bands. Als ich ihnen dann Skat beibringen wollte, haben sie aber dankend abgelehnt.

BILD der FRAU: Die Sommerpause ist vorbei – der politische Alltag geht weiter. Ist die Eurokrise mittlerweile überwunden?

Wolfgang Schäuble: Ja und nein. Die Vertrauenskrise in die Geldmärkte ist vorbei. Die wirklichen Ursachen der Krise sind aber noch lange nicht überwunden. Das Problem ist: Wir haben eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Es wäre sinnvoll, wenn die EU-Kommission das Recht hätte, Haushalte der Regierungen zurückzuweisen, wenn diese zu viel Geld ausgeben wollen und die europäischen Regeln verletzen.

BILD der FRAU: Was wäre noch wichtig?

Wolfgang Schäuble: Die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Länder sind noch zu groß. Europa ist angesichts der rasanten, weltweiten Entwicklung nicht dynamisch genug. Wir brauchen weitere Reformen und dürfen uns auch in Deutschland nicht ausruhen.

BILD der FRAU: Wer verwaltet zu Hause das Geld? Ihre Frau ist Volkswirtin!

Wolfgang Schäuble: Ich mache den Papierkram mit den Versicherungen und die Steuererklärung. Aber wir bereden alles.

BILD der FRAU: Sie sind 45 Jahre verheiratet. Was haben Sie von Ihrer Frau gelernt?

Wolfgang Schäuble: Ich lerne jeden Tag von ihr! Wir haben vier Kinder und sie hält es nach all den Jahren noch mit mir aus – das ist schon sehr beachtlich! Ich lerne auch viel von meinen Kindern: Wenn ich sehe, wie toll mein Sohn sich um seine Kinder kümmert, sage ich oft zu meiner Frau: Das hat er nicht alles von mir gelernt … Wir haben ein enges Verhältnis zu unseren Kindern. Das ist schon mehr meiner Frau zu verdanken.

BILD der FRAU: Sie haben sie damals mit einer kleinen Notlüge erobert: Ihre Frau nahm Ihnen vor der Hochzeit das Versprechen ab, nicht in die Politik zu gehen.

Wolfgang Schäuble: Ja, das stimmt. Sie hat sich gewünscht, dass ich mehr zu Hause bin. Sie hat für meine Karriere den größeren Preis bezahlt. Ich liebe meine Frau und ich bewundere sie. Ich sitze jetzt seit 25 Jahren im Rollstuhl. Das ist für den Ehepartner vergnügungsteuerfrei! Halb sitzt sie auch im Rollstuhl.

BILD der FRAU: Sie sind 71, Sie könnten sich ein ruhiges Leben machen!

Wolfgang Schäuble: Sie wollen wissen, ob ich immer noch Lust an der Politik habe? Die Antwort lautet: Ja! Ich mach’s gern.

BILD der FRAU: Was war der bewegendste Moment in all den Jahren?

Wolfgang Schäuble: Vor fast genau 25 Jahren saß ich gerade im Bundeskanzleramt in Bonn in einer Sitzung, als gegen 20 Uhr der Pressesprecher von Helmut Kohl, Eduard Ackermann, reinkam. Er brachte uns die neueste Agenturmeldung: Die DDR öffnet heute die Mauer. Das hat natürlich keiner geglaubt.

BILD der FRAU: Wie ging der Abend weiter?

Wolfgang Schäuble: Der Bundestag tagte noch, wir sind dann rüber zu Rudolf Seiters, der damalige Chef des Kanzleramtes, gab eine Erklärung ab. Wenig später standen wir mit einigen CDU-Abgeordneten im Bundestag und begannen, die Nationalhymne zu singen. Ganz spontan. Die Mehrzahl der anderen ist auch aufgestanden und hat zögernd in den Chor eingestimmt. Der Gesang klang grauenvoll, aber es war der bewegendste Moment meines politischen Lebens.

BILD der FRAU: Umfragen zufolge sind Sie einer der beliebtesten Politiker. Ist es Ihnen wichtig, gemocht zu werden?

Wolfgang Schäuble: Über gute Umfragen freut man sich natürlich. Sie verleihen einem auch größere politische Durchsetzungskraft. Aber man darf sich davon nicht abhängig machen.

BILD der FRAU: Wie unterscheidet es sich, mit einer Kanzlerin statt mit einem Kanzler zu arbeiten? Sie sind schließlich einer der wenigen, die das beurteilen können.

Wolfgang Schäuble: Natürlich ist der Führungsstil von Angela Merkel völlig anders als der ihrer Vorgänger. Das mag auch damit zu tun haben, dass sie eine Frau ist. Aber vor allem hat sie immer Wert darauf gelegt, dass die Frage ob Mann oder Frau keine Rolle spielt.

BILD der FRAU: Gibt es Freundschaften in der Politik?

Wolfgang Schäuble: Ja, aber ich bin froh, dass meine engeren Freunde nicht alle in der Politik tätig sind. Mit Hans-Peter Repnik, Friedrich Merz und Michael Glos verbindet mich eine enge Beziehung.

BILD der FRAU: Auch Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds, scheint Ihren besonderen Respekt zu genießen. Wie kam es dazu?

Wolfgang Schäuble: Wir lernten uns kennen, als ich Finanzminister wurde, was sie in Frankreich damals schon war. Wir haben uns gleich gut verstanden. Ihr Fachwissen und ihr Verständnis der Finanzmärkte hat mich beeindruckt. Sie hat lange in den USA gearbeitet. Jetzt treffen wir uns ab und zu. Aber meine Frau muss da nicht eifersüchtig sein! (Lacht.)

BILD der FRAU: Sprechen Sie Französisch oder Englisch miteinander?

Wolfgang Schäuble: Englisch.

BILD der FRAU: Duzen Sie sich?

Wolfgang Schäuble: Ach, wir duzen uns alle. Kollegen reden sich eben mit Vornamen an. Das machen die Außenminister auch so. Und die Kanzlerin sagt natürlich auch Barack oder Wladimir.

BILD der FRAU: Welche Eigenschaften sind Ihnen bei Menschen wichtig?

Wolfgang Schäuble: Ich mag keine Angeber und kein hohles Geschwätz. Ich mag Verlässlichkeit und Menschen, die wirklich was zu erzählen haben. Man kann mir gut die Meinung sagen, aber ich ärgere mich, wenn man mich anlügt.