Keine Rettung um jeden Preis



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Gespräch mit dem Spiegel

Spiegel: Herr Schäuble, haben Sie schon Gold gekauft?

Schäuble: Meine privaten Verhältnisse sind so, dass ich mir über meine Geldanlage keine Sorgen machen muss. Ich habe nicht viel anzulegen.

SPIEGEL: Viele Bürger fürchten um ihre Ersparnisse, sie verlieren das Vertrauen in die Währungen und das Krisenmanagement der Regierungen, in den USA wie in Europa. Deshalb steigt der Goldpreis immer weiter. Können Sie dieses Misstrauen nachvollziehen?

Schäuble: Ich kann verstehen, dass die Fülle an nicht immer nur guten Nachrichten die Leute ängstigt. Aber: Wir haben keine Inflationstendenzen, der Euro [Glossar] ist nach innen und außen stabil. Was wir haben, sind Störungen auf den Finanzmärkten [Glossar], und wir müssen darauf achten, dass die nicht auf die wirtschaftliche Entwicklung durchschlagen. Bisher ist das nicht der Fall. Trotz aller Aufregung können wir den Menschen sagen: Unsere Währung ist sicher.

SPIEGEL: Warum gelingt es dann den Regierungen nicht, die Lage zu beruhigen?

Schäuble: Was wir in diesen Wochen erleben, ist eine Verunsicherung. Daran sind auch die Schuldenkrise in den Vereinigten Staaten und die Schuldenproblematik in einigen Staaten in der Euro-Zone nicht unschuldig. Hinzu kommt: In Europa haben wir zwar eine gemeinsame Währung und damit eine Vergemeinschaftung der Geldpolitik [Glossar], aber weiterhin nationale Finanzpolitiken [Glossar]. Wir haben darauf gesetzt, dass sich durch den Stabtlitäts- und Wachstumspakt und die Zwänge, die sich aus einer Währung ergeben, die nationalen Finanzpolitiken automatisch aneinander immer stärker annähern würden.

Das hat nur zum Teil geklappt. Deswegen werden wir jetzt den Stabilitätspakt deutlich verschärfen. Wir können die europäischen Institutionen aber nur Schritt für Schritt so stark machen, wie wir es uns vielleicht hier und jetzt und sofort wünschen würden. Wir müssen die Bürger mitnehmen.

SPIEGEL: Das Krisenmanagement der Euro-Regierungen mit immer neuen Gipfeln ist kaum dazu angetan, das Misstrauen der Menschen zu beseitigen. Sind die Probleme nicht doch größer, als die Regierung es sich und den Bürgern eingestehen mag?

Schäuble: Das Ganze ist ein ständiger Prozess – das haben wir immer betont! Wahr ist aber auch: Alle Maßnahmen, mit denen wir es Griechenland ermöglicht haben, für einige Jahre nicht die Finanzmärkte in Anspruch nehmen zu müssen und an der Gesundung seiner Wirtschaft zu arbeiten, haben den deutschen Steuerzahler bisher nichts gekostet. Wir haben Garantien übernommen, und wir tragen gewisse Risiken, das ist wahr. Aber wir haben dafür die Kräfte in Griechenland gestärkt, die die Probleme wirklich angehen.

Und an der weiteren Verbesserung des Krisenmanagements und der sogenannten Governance in der Euro-Zone arbeiten wir ja gerade. Das haben sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone am 21. Juli selber zur Aufgabe gemacht, und darum wird es sicherlich auch bei dem Treffen der Bundeskanzlerin und des französischen Präsidenten nächste Woche gehen.

SPIEGEL: Der Beweis ist noch nicht erbracht, dass Griechenland wirklich gerettet ist und ob nicht am Ende eine richtige Umschuldung notwendig ist, die weit über die jüngsten Beschlüsse hinausgeht.

Schäuble: Wir haben uns bei diesem Gipfel mit unserer Position durchgesetzt, dass sich der Privatsektor an der Verbesserung der Schuldensituation Griechenlands beteiligen muss und dies nicht allein zu Lasten des Steuerzahlers gehen kann. Das hat es möglich gemacht, dass wir die Bedingungen für die griechischen Kredite verbessern konnten. Griechenland kann seine Schuldenlast tragen, vorausgesetzt, die Regierung setzt alle Maßnahmen um, die verabredet worden sind. Griechenland muss wirtschaftlich leistungsfähig werden.

SPIEGEL: Glauben Sie wirklich, dass diese Maßnahmen ausreichen?

Schäuble: Das ist jedenfalls die Meinung der unabhängigen Institutionen, die es aufgrund ihrer Expertise wissen sollten vom Internationalen Währungsfonds über die Europäische Kommission bis zur Europäischen Zentralbank [Glossar].

SPIEGEL: Es geht längst nicht nur um Griechenland. Inzwischen ist sogar Italien in Gefahr, selbst über Frankreich wird spekuliert. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet spricht von der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Schäuble: Aus guten Gründen kommentieren Regierung und Zentralbank ihre Äußerungen gegenseitig nie. Ich vermute, dass der EZB-Präsident erklären wollte, weshalb die Europäische Zentralbank die Entscheidung getroffen hat, wieder Staatsanleihen anzukaufen.

SPIEGEL: Solche Bemerkungen tragen kaum zur Beruhigung der Märkte bei.

Schäuble: Das müssen Sie mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank diskutieren, die übrigens eine hervorragende Arbeit leistet. Ihre Aufgabe ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Und die Preise sind seit Einführung des Euro stabiler als zu D-Mark-Zeiten. Das darf man bei allen sonstigen Sorgen nicht vergessen. Wir haben eine stabile Währung, und niemand muss sich um sein Erspartes sorgen . . .

SPIEGEL: . . . vorausgesetzt, es gelingt den Regierungen tatsächlich, mit ihren Maßnahmen die Lage zu beruhigen.

Schäuble: Wenn es einem gutgeht, besteht immer die Sorge, dass es einem in Zukunft auch wieder schlechter gehen kann. Das ist eine alte menschliche Erfahrung. Es gab ja doch einige Skeptiker bei der Einführung des Euro. Aber er funktioniert! Und er ist stabil! Man darf nicht verkennen, dass wir in einer ungewöhnlich stabilen wirtschaftlichen Situation leben. Wir sind in der Lage, diese Krise zu meistern.

SPIEGEL: Tatsächlich haben viele Ökonomen vor der Einführung des Euro gewarnt, weil ihrer Ansicht nach eine Währungsunion ohne politische Union nicht funktionieren kann. Und weil die Mitgliedsländer wirtschaftlich viel zu unterschiedlich sind. Diese Kritiker fühlen sich durch die aktuelle Entwicklung bestätigt.

Schäuble: Es mag sein, dass Menschen, die so denken, sich bestätigt fühlen. Ich sehe es anders. Es ist wahr: Als wir den Euro erschaffen haben, war es nicht möglich, auch eine politische Union mitzuliefern. Die Menschen waren dafür nicht bereit. Inzwischen wächst die Bereitschaft, in diese Richtung zu gehen. Das ist ein Prozess – und der ist manchmal mühsam und manchmal langsam. Aber man muss die Menschen mitnehmen.

SPIEGEL: Verharmlosen Sie jetzt nicht die gefährliche Situation, in der wir uns befinden?

Schäuble: Nein, ich plädiere nur dafür, dass wir ob all der Turbulenzen nicht den Blick für die weiterhin positiven wirtschaftlichen Tendenzen verlieren. Ich glaube nicht, dass das unverantwortlich ist, sondern dass man das mit den Realitäten begründen kann. Würden wir das europäische Projekt nicht weiterverfolgen, wären unsere Perspektiven viel, viel schlechter.

Spiegel: Dennoch bleibt die Frage, ob die Währungsunion, so wie sie geschaffen wurde, tragfähig ist oder ob ein einheitlicher Wechselkurs die Länder wirtschaftlich nicht noch weiter auseinandertreibt.

Schäuble: Die Währungsunion verschärft den Druck auf die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitglieder. Und deshalb müssen die Länder, die Schwierigkeiten haben, ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern …

SPIEGEL: …was sie aber in den vergangenen Jahren nicht getan haben. Jetzt ist es möglicherweise zu spät.

Schäuble: Wenn ich als Kind einen Hausaufsatz schreiben musste, habe ich diese Aufgabe auch erst am letzten Abend erledigt, wenn der Druck groß genug war. So sind die Menschen. Und so ist die Situation jetzt auch in Griechenland, in Portugal und Spanien. All diese Länder unternehmen enorme Anstrengungen, die vor kurzem noch undenkbar erschienen. Das muss man auch einmal honorieren.

SPIEGEL: Trotz aller Zuversicht: Haben Sie nicht manchmal Angst davor, was da noch alles auf Sie zukommt?

Schäuble: Nein, aber ich hätte mir die Urlaubswochen auch ruhiger gewünscht. Wir tun alles Notwendige und versuchen dabei, die Märkte nicht nervös zu machen. Irgendwann werden auch die Fundamentaldaten wieder betrachtet werden und die harten Maßnahmen, die gerade umgesetzt werden, die ersten Früchte tragen und dann positiv gewürdigt werden. Was Deutschland betrifft, sind die Fundamentaldaten sogar sehr gut. Es spricht alles dafür, dass wir auch in diesem Jahr wieder ein Wachstum von über drei Prozent erreichen. Das hätte vor einem Jahr niemand für möglich gehalten.

SPIEGEL: Hätten Sie sich vor einem Jahr vorstellen können, wie gefährlich die Lage werden würde?

Schäuble: Ich bin lange genug Politiker, um zu wissen, dass wir jedes Jahr in einer Situation leben, die man sich ein Jahr vorher so nicht vorgestellt hat – manchmal wird es besser, manchmal weniger gut.

SPIEGEL: In der Euro-Krise aber wurden selbst die düstersten Prognosen von der Realität noch überholt.

Schäuble: Das sehe ich anders. Wir erleben Entwicklungen, die wir so nicht vorausgesehen haben. Wir sind den krisenhaften Zuspitzungen aber immer begegnet und haben Lösungen gefunden. Düstere Prognosen tragen dazu wenig bei. Aber wir müssen auch festhalten: Es ist unheimlich schwer, Veränderungen durchzusetzen, solange die Menschen nicht davon überzeugt sind, dass sie wirklich notwendig sind.

SPIEGEL: Das heißt: Wenn der Euro scheitert, dann nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen?

Schäuble: Das hängt untrennbar zusammen, aber noch einmal und ganz klar: Der Euro wird nicht scheitern.

SPIEGEL: Er wird dann scheitern, wenn die Bevölkerung in den Nehmerländern nicht länger bereit ist, die drastischen Reformen zu tragen, und die Menschen in den Geberländern sich weigern, einen immer größeren Beitrag zur Stützung der schwachen Mitgliedstaaten zu leisten.

Schäuble: Es ist die Führungsaufgabe der Politik, die Menschen dafür zu gewinnen. Politik muss den Mut haben voranzugehen. Aber sie muss auch die Kraft haben zu überzeugen. Ich bin überzeugt, dass nicht nur in Deutschland die große Mehrheit der Menschen für die europäische Integration eintritt.

SPIEGEL: Glauben Sie, dass die Bevölkerung weitergehende Schritte, zum Beispiel Euro-Bonds und eine Transferunion, in der die Starken die Schwachen nach Vorbild des deutschen Länderfinanzausgleichs finanzieren, mitgehen wird? Dass sie bereit sein wird, den Rettungsschirm auch dann zu finanzieren, wenn weitere Länder Probleme bekommen und immer weniger Geberländern immer mehr Nehmerländer gegenüberstehen?

Schäuble: So wird es nicht kommen. Im Übrigen sind einige der genannten Begriffe nur geeignet, die Menschen abzuschrecken. Mit dem Begriff Transferunion zum Beispiel kann ich nichts anfangen. Viele meinen damit, dass andere Leute unser sauer verdientes Geld verprassen. Das ist natürlich Unsinn. Eine Gemeinschaft macht zwar nur Sinn, wenn es einen gewissen Ausgleich untereinander gibt. Deswegen gibt es ja auch die Strukturfonds, von denen unter anderem die neuen Bundesländer profitieren. Die Frage muss aber immer sein: Wie viel Ausgleich? Und zu welchen Bedingungen?

SPIEGEL: Also sind Sie gegen Euro-Bonds?

Schäuble: Ich schließe Euro-Bonds aus, solange die Mitgliedstaaten eine eigene Finanzpolitik betreiben und wir die unterschiedlichen Zinssätze benötigen, damit es Anreize und Sanktionsmöglichkeiten gibt, um finanzpolitische Solidität zu erzwingen. Ohne eine solche Solidität sind die Grundlagen für eine gemeinsame Währung nicht gegeben.

SPIEGEL: Obwohl Sie das Wort Transferunion nicht gern hören . . .

Schäuble: … weil es benutzt wird, um Aversionen gegen Europa zu wecken …

SPIEGEL: … gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Währungsunion bricht wegen ihrer inneren Spannungen auseinander. Oder es wird im Zweifel alles über die Gemeinschaft und durch deren starke Mitglieder bezahlt: Dann gibt es Euro-Bonds und eine Pauschalgarantie für alle Staatsanleihen. Dann ist der Euro möglicherweise gerettet. Aber um welchen Preis?

Schäuble: Diese Alternative ist zu einfach. Es bleibt dabei: Es gibt keine Vergemeinschaftung von Schulden und keinen unbegrenzten Beistand. Es gibt gewisse Beistandsmechanismen, die wir weiterentwickeln – unter strengen Bedingungen: Die Mitgliedstaaten, die unsere Solidarität benötigen, müssen ihr Defizit [Glossar] reduzieren und ihre Wirtschaft reformieren. Mit zum Teil sehr harten Maßnahmen.

SPIEGEL: Und wenn sie das nicht ausreichend tun? Wird die Hilfe dann ausgesetzt – mit dem Risiko, dass tatsächlich die Währungsunion zerfällt?

Schäuble: Die betroffenen Regierungen haben klar gesagt, dass sie alles tun werden, damit sich diese Frage nicht stellen wird, und sich dernentsprechenden Programmen unterworfen. Andererseits: Es gibt keine Rettung um jeden Preis.

SPIEGEL: Und dann?

Schäuble: Darüber muss man nicht spekulieren. Aber wir wären eine komische Regierung, wenn wir uns nicht immer auf alle Eventualitäten – egal, wie unwahrscheinlich sie sein mögen – vorbereiten würden. Aber unser aller Ziel in der EU ist, ebendiese krisenhaften Zuspitzungen zu vermeiden und zu meistern. Das sollte uns gelingen.

SPIEGEL: Der Euro-Raum steht mit seinem Schuldenproblem nicht allein. Amerika geht es nicht besser, Großbritannien und Japan auch nicht. Eine solche Verschuldung von Staaten hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Wie kommt die Welt da wieder raus?

Schäuble: Die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte [Glossar] ist in der Tat das große Problem der westlichen Industriestaaten. Und es wird noch größer, wenn man die Belastung durch die Sozialversicherungssysteme und die Alterung der Bevölkerung einrechnet. Im Verhältnis zur Weltbevölkerung schrumpfen wir. Dennoch wollen wir langfristig unseren Wohlstand sichern. In anderen Teilen der Welt wird genau beobachtet, ob es unseren freiheitlich verfassten Gesellschaften mit unseren zum Teil unvermeidlich langwierigen demokratischen Prozessen gelingt, diese Probleme zu lösen.

Demokratische Mehrheiten neigen ja dazu, mehr Geld auszugeben, als sie einnehmen. Und das können wir uns eigentlich in vielen traditionellen Industriestaaten nicht mehr leisten. Auch nicht in Deutschland. Das ist ja einer der Gründe, warum ich so auf die Reduzierung unserer Staatsverschuldung dränge. Wenn wir das jetzt nicht hinbekommen, besteht die Gefahr, dass unsere Nachkommen vor einem unüberwindbaren Berg stehen.

SPIEGEL: In der Historie gab es zur Lösung solcher Probleme immer nur zwei Möglichkeiten: entweder eine Inflation [Glossar], die die Schulden der Staaten, aber auch die Vermögen der Bürger mehr oder weniger schleichend entwertete …

Schäuble: … oder früher einen Krieg, was aber Gott sei Dank heutzutage gerade durch den europäischen Einigungsprozess ausgeschlossen ist …

SPIEGEL: … oder zumindest eine Währungsreform.

Schäuble: Sie beschreiben genau die große historische Herausforderung, vor der wir stehen: angesichts der katastrophalen Erfahrungen vergangener Jahrhunderte das Problem ohne solche Mittel zu lösen. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen, und das Selbstbewusstsein, dass uns das gelingen wird, sollten wir haben.

SPIEGEL: Herr Schäuble, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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