„Ich verstehe die Griechen“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Welt am Sonntag

WELT AM SONNTAG (WamS): Herr Schäuble, Sie bekommen in wenigen Tagen den Karlspreis verliehen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Schäuble: Das bewegt und berührt mich schon. Der Karlspreis ist der bedeutendste Preis für europapolitisches Engagement. Allzu viele Minister der Bundesrepublik Deutschland haben ihn bisher nicht bekommen. Es macht mich ein Stück weit stolz, in einer Reihe mit großen Persönlichkeiten der europäischen Politik zu stehen.

WamS: Fühlen Sie sich für Ihre Lebensleistung ausreichend gewürdigt?

Schäuble: Ich habe mich nicht zu beklagen. Mir hat Politik immer schon Spaß gemacht, mir macht Politik weiterhin Freude. Und ich empfinde es als großes Vertrauen des Souveräns, der Bürger, mir schon so lange diese Verantwortung übertragen zu haben, in der Politik tätig sein zu dürfen. Ich finde es gut, das Politikern nicht ein Übermaß an Verehrung entgegengebracht wird. Das wäre für die Demokratie nicht gut. Alle Menschen haben Fehler, und Politiker sind auch nur Menschen.

WamS: Würden Sie sagen, Sie sind uneitel?

Schäuble: Wer gar nicht im Blickpunkt stehen will und sich am liebsten versteckt, wird normalerweise schon in der Schule selten Klassensprecher. Viele Abgeordnete waren früher Klassensprecher. Bei mir ist das genauso. Ich gehöre auch zu denen, die mal eine Schülerzeitung gegründet haben. Die Möglichkeit, gestalten zu können, beflügelt mich auch heute noch.

WamS: Ideale Voraussetzungen, um Jean-Claude Juncker als Chef der Eurogruppe [Glossar]nachzufolgen.

Schäuble: Das werden die Staats- und Regierungschefs miteinander besprechen. Ich habe vor allem ein großes Interesse daran, dass die Eurogruppe ihre Aufgabe weiterhin so gut erfüllt, wie sie es unter dem Vorsitz von Jean-Claude Juncker bisher schon getan hat. Als deutscher Finanzminister muss ich mich so oder so stark engagieren. Deswegen sage ich auch nicht, dass ich unter keinen Umständen den Vorsitz übernehmen kann, wie es andere getan haben. Und ich habe auch nicht gehört, dass meine Kollegen sagen: Mein Gott, bloß nicht der Schäuble. Das ist ja auch nicht schlecht. Aber jetzt warten wir den Rest mal ab.

WamS: Kommt es gelegentlich vor, dass Sie an Europa verzweifeln?

Schäuble: Nein.

WamS: Auch nicht, wenn Sie nach Griechenland blicken? Dort haben die Menschen soeben den Sparkurs abgewählt.

Schäuble: Ich kann die Griechen gut verstehen, also die normalen Menschen in Griechenland. Sie leiden schwer. Und die Verantwortlichen sagen ihnen nicht, wer die Verantwortung für die schwierige Lage trägt. Das ist leider so. Es gibt für Griechenland keinen bequemen Weg. Wir sind an den Rand dessen gegangen, was uns auf den Finanzmärkten[Glossar] noch geglaubt wird. Es gibt keine bessere Lösung. Jetzt muss Griechenland zeigen, ob es die Kraft hat, dafür die notwendigen Mehrheiten zustande zu bringen. Ich kann nur hoffen, dass die Einsicht bei den Verantwortlichen in Griechenland schnell einkehrt.

WamS: Sehen Sie noch Spielräume, den Griechen entgegenzukommen?

Schäuble: Das Programm steht. Wenn die Griechen eine Idee haben, was wir zusätzlich tun können, um das Wachstum zu fordern, kann man immer darüber sprechen und nachdenken. Im Kern geht es aber darum, Griechenland wieder wettbewerbsfähig zu machen, die Wirtschaft wachsen zu lassen und den Weg zu den Finanzmärkten wieder zu öffnen. Das erfordert, dass die vereinbarten grundlegenden Reformen gemacht werden. Sonst hat das Land keine Perspektive.

WamS: Könnte die Eurozone [Glossar] einen Ausstieg der Griechen wirklich verkraften?

Schäuble: Wir können kein Land zwingen, im Euro [Glossar] zu bleiben. Natürlich wollen wir nicht, dass Griechenland aussteigt – ganz klar und ganz eindeutig. Aber lassen Sie es mich badisch sagen: Wir wären eine komische Regierung, wenn wir uns nicht auf alle denkbaren Fallkonstellationen vorbereiten würden, um sie dann auch meistern zu können – auch Situationen, die für Europa nicht einfach wären.

WamS: Ist es sinnvoll, weitere Milliarden zu überweisen, bevor klar ist, wie es in Griechenland weitergeht?

Schäuble: Das haben wir diese Woche rechtlich sehr genau geprüft. Das Wahlergebnis ist kein Grund zu sagen, Griechenland habe seine Verpflichtungen verletzt. Es wäre auch nicht hilfreich, von außen Öl ins Feuer zu gießen. Keiner, der Verantwortung empfindet, wird den Griechen den Versuch erschweren, eine handlungsfähige Regierung zu bilden.

WamS: Der neue französische Präsident Francois Hollande kommt am Dienstag nach Berlin. Auch er empfindet den Fiskalpakt als deutsches Spardiktat. Sind Sie zu Abstrichen bereit?

Schäuble: Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist das Kernstück der europäischen Einigung – unabhängig von Wahlen. Unterschiedliche politische Ansichten sind legitim. Aber genauso wie Wahlen und Regierungswechsel ein normaler Vorgang sind, ist es üblich, dass Verträge, die geschlossen wurden, auch nach Wahlen ihre Gültigkeit haben. Das gilt auch für den Fiskalpakt

WamS: Hollande will stärker auf Wachstum setzen.

Schäuble: Das wollen wir auch, und das haben wir auch schon immer getan. Aber natürlich: Vielleicht fällt uns noch etwas Besseres ein. Wir werden mit Francois Hollande so respektvoll umgehen, wie es sich für einen Präsidenten der französischen Republik gehört – und hören, was er für Vorschläge hat.

WamS: Wie denken Sie über europäische Konjunkturprogramme?

Schäuble: Konjunkturprogramme auf Pump lehnen wir ab. Höhere Schulden führen nicht zu mehr Wachstum. Sinnvoll wäre allerdings, europäische Programme stärker zu fokussieren, zum Beispiel stärker zur Förderung der dualen Berufsausbildung zu nutzen. Die Berufschancen junger Leute müssen wichtiger sein als immer neue Autobahnen.

WamS: Wann tritt der Fiskalpakt in Kraft?

Schäuble: Ich bin zuversichtlich, dass Bundestag und Bundesrat noch vor der Sommerpause zustimmen werden. Es wäre unverantwortlich, die Entscheidung auf den Herbst zu verschieben – und den Fiskalvertrag erst nach dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm zu verabschieden. Das kann die Opposition nicht ernsthaft verlangen.

WamS: Hollande hat die Kanzlerin aufgefordert, eine Debatte über Eurobonds und eine direkte Staatsschuldenfinanzierung durch die Europäische Zentralbank zuzulassen. Die deutschen Freunde, fügte er hinzu, könnten nicht zwei Riegel auf einmal vorschieben. Ist das so?

Schäuble: Auf beiden Feldern gibt es klare Regelungen in den EU-Verträgen, und in beiden Fällen geht es darum, falsche Anreize zu vermeiden. Wir dürfen die finanzpolitische Disziplin in den Mitgliedstaaten nicht untergraben. Solange wir keine gemeinsame Finanzpolitik[Glossar] haben, ist ein gemeinsames Haftungsrisiko nicht vorstellbar und wäre ein Fehler. Und wenn wir Staatsschulden mit der Notenpresse finanzieren, gefährden wir die Geldwertstabilität.

WamS: Sind Eurobonds möglich, wenn der Fiskalpakt in Kraft getreten ist?

Schäuble: Jetzt lassen Sie uns erst einmal abwarten, wie der Fiskalpakt wirkt. Wir werden nicht aufhören, gemeinsam an guten Lösungen im Interesse aller zu arbeiten. Es kommt darauf an, Stabilität zu schaffen – und damit die Voraussetzung für dauerhaftes Wachstum. Intelligentes Schuldenmanagement ist in einer Langfristdebatte sicherlich ein Thema. Kampfbegriffe wie Eurobonds führen in der öffentlichen Debatte aber immer zu Missverständnissen, und das ist nicht produktiv. Finanzminister müssen das vermeiden. Deswegen sind sie nicht die besten Gesprächspartner für schlagzeilenträchtige Meldungen.

WamS: Herr Schäuble, wie sieht die EU in zehn Jahren aus?

Schäuble: Ich bin ziemlich zuversichtlich. Ich könnte mir vorstellen, dass in zehn Jahren alle EU-Mitglieder den Euro haben werden. Und die EU wird größer sein als heute. Vielleicht gehören auch Länder wie Norwegen und die Schweiz dazu. Das können natürlich nur die Länder selber entscheiden – aber die europäische Tür steht ihnen offen. Meine Vision ist ein handlungsfähiges Europa, das einen größeren Beitrag zu globaler Stabilität leistet.

WamS: In der Ukraine weckt die Menschenrechtslage erhebliche Zweifel an der Europafähigkeit des Landes. Eignet sich die Fußball-EM als Bühne für Protest?

Schäuble: Menschenrechte müssen für immer und für alle gelten. Aber wenn man die Welt zu einem Fest wie einer Fußball-EM einlädt, dann muss man es sich auch gefallen lassen, dass die Welt noch genauer hinschaut. Das ist gut so! Grundsätzlich muss gelten: Man besiegt den politischen Gegner in Wahlen, aber sperrt ihn nicht ins Gefängnis. Der Protest, auch der sehr kluge Verzicht des Bundespräsidenten auf eine Reise in die Ukraine, haben schon Früchte getragen. Ich hoffe, dass sich für Frau Timoschenko alles gut entwickeln wird.

WamS: Besuchen Sie ein Spiel der deutschen Mannschaft in der Ukraine?

Schäuble: Nein. Ich bin Finanzminister. Wenn ich noch für den Sport zuständig wäre, musste man sehen. Im Stadion werde ich mir auf jeden Fall das Finale der Champions League anschauen. Ich bin ja ein großer Fan von Bayern München.

WamS: Wenn der Finanzminister dafür noch Zeit findet, kann die Lage nicht katastrophal sein.

Schäuble: Ich habe mit meinem britischen Kollegen George Osborne vor ein paar Monaten über die Champions League gesprochen. Und er hat gesagt: Chelsea und Bayern München werden das Finale bestreiten. Da habe ich ihn ein bisschen angeschaut und gesagt: Bayern München schon, aber bei Chelsea bin ich mir nicht so sicher. Dann haben wir verabredet: Wenn es so kommt, gehen wir zusammen nach München. Und das werden wir jetzt tun. Sie dürfen ganz sicher sein: Wer immer eine wichtige Aufgabe hat, kann sie nur dann gut erfüllen, wenn er sich nicht 26 Stunden am Tag mit dieser Aufgabe eingräbt. Ich gehe ja auch ins Theater und ins Konzert – das macht den Kopf frei für die Aufgaben des Finanzministers.

Das Interview führten Jochen Gaugele, Olaf Gersemann und Jan Hildebrand

Alle Rechte: Welt am Sonntag.