„Farbe bekennen“ mit Finanzminister Wolfgang Schäuble



Interview vom 5. Februar 2015 im ARD-Hauptstadtstudio

Guten Abend, meine Damen und Herren.
Zwei Griechen rocken gerade Europa. Ministerpräsident Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis.
Sie haben ihren Wählern viel versprochen. Sie wollen von der EU nicht weniger als das Ende der Sparauflagen. Wie weiter mit Griechenland? Heute war Varoufakis in Berlin beim deutschen Finanzminister. Deshalb jetzt, ein Farbe bekennen mit Wolfgang Schäuble.

ARD: Guten Abend Herr Schäuble.

Wolfgang Schäuble: Guten Abend.

ARD: Herr Minister, wir haben die Pressekonferenz von Ihnen und Herrn Minister Varoufakis heute sehr genau beobachtet. Bei Herrn Deppendorf und mir bleibt haften: Da haben sich zwei getroffen, die sich aufs Freundlichste erklärt haben, dass sie praktisch in keinem der Punkte übereinstimmen. Stimmt dieser Eindruck?

Schäuble: Es war ja die erste Begegnung, wir haben ja auch nichts zu verhandeln gehabt. Und der Eindruck ist auch nicht falsch. Wir haben eine intensive Unterhaltung geführt, wir waren beide freundlich und höflich. Er hat mir seine Position gesagt – die hat er ja in letzter Zeit öfter gesagt – und ich habe ihm unsere Position versucht zu erklären. Und da haben wir die Differenzen nicht überbrücken können.

ARD: Da kommen wir noch zu. Herr Schäuble, unser Deutschland -Trend, der nachher in den Tagesthemen ausgestrahlt wird, sagt: 85 Prozent der Deutschen äußern die Sorge, dass Deutschland zur Rettung Griechenlands am Ende doch mehr zahlen muss als vorgesehen. Nach dem Gespräch heute – können Sie den Deutschen die Sorge nehmen?

Schäuble: Es geht gar nicht darum, dass wir bezahlen, es geht darum, dass wir Griechenland geholfen haben, wieder Zugang zu den Finanzmärkten zu finden, denn den hatten sie verloren. Das war der Sinn der Programme, dass wir Garantien übernehmen. Deswegen müssen wir auf den Reformen bestehen. Es macht ja nur Sinn, Zeit zu kaufen, Garantien zu übernehmen, dass man sich billig verschulden kann, das kann Griechenland, wenn man die Probleme so löst, dass die Dinge besser werden. Das ist die Auseinandersetzung. Und ohne diese Zuversicht – und das nennt man das, was die von den Griechen nicht mehr geliebte Troika an Konditionalität verlangt hat – ohne diese Bedingung gibt es kein Programm, ohne die macht auch kein Programm Sinn, weil Programme sind Hilfe zur Selbsthilfe.

ARD: Stichwort Troika, Sie haben es gerade genannt. Ihr griechischer Kollege Varoufakis hat gesagt: Die kommen mir nicht mehr ins Haus nach Griechenland. Sie haben gesagt: Anders geht es gar nicht. Also die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), aus EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds (IWF). Was, Herr Schäuble, gilt jetzt?

Schäuble: Nein, das hat er auch im Gespräch mit mir sehr klar gestellt: Natürlich müssen sie mit den drei Institutionen zusammenarbeiten. Sie mögen das Wort „Troika“ nicht – ich glaube, es ist ein griechisches Wort. 0.K., ich habe gesagt, es ist völlig Wurst…

ARD: Kommen die noch zu dritt in Athen zusammen?

Schäuble: Wo sie sich treffen, ist mir auch egal. Ich habe im September mal vorgeschlagen, dass sie sich in Paris treffen sollen, haben sie dann auch gemacht. Aber Bedingungen, Auflagen, die Erfüllung des Programms – das kann nur mit den drei Institutionen verhandelt werden. Ohne das gibt es kein Programm. Das hat er aber ausdrücklich zugestanden.

ARD: Herr Juncker, der EU-Ratspräsident sieht es ja etwas kritischer mit der Troika. Fällt er Ihnen in den Rücken?

Schäuble: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mit Herrn Juncker engen Kontakt, habe auch mit ihm darüber gesprochen. Er möchte eigentlich, dass wir das Europäische Währungssystem in ein Gemeinschaftsrecht überführen. Aber dazu braucht man Vertragsänderungen. Deswegen habe ich gesagt, da muss man die Verträge ändern. Das ist leider nicht so einfach, das geht nur einstimmig. Das braucht Zeit. Wir halten uns an geltendes Recht. Geltendes Recht ist: die Mitgliedstaaten der Eurozone haben das vereinbart. Die nationalen Parlamente müssen zustimmen und das kann ich durch nichts anderes ersetzen. Wir sind an europäisches Recht und an das Grundgesetz und an die deutschen Gesetze gehalten.

ARD: Herr Schäuble, Herr Varoufakis hat Sie heute, auch schon Tage zuvor, um ein Überbrückungsprogramm gebeten – letzten Endes Geld. Warum verweigern Sie das?

Schäuble: Diese Finanzstabilisierungshilfen, wo wir mit dem ersten Griechenland -Programm über 200 Milliarden Garantien übernommen haben, teilweise auch Kredite gegeben haben im ersten Programm, ist ja ein Überbrückungsprogramm. Aber dafür hat Griechenland sich verpflichtet, dass es eben bestimmte Schritte ergreift, um die Grundlagen der wirtschaftlichen Misere abzubauen. Ohne das geht es nicht.

ARD: Nur, Herr Schäuble, man braucht, glaube ich, für eine gewisse Zeit Geld für Griechenland. Ist das nicht der entscheidende Punkt, dass man sagt: Ja, dann schießen wir jetzt noch mal Geld rein, damit die Griechen die Reformen weiterführen können?

Schäuble: Wir haben kurz vor Weihnachten, als Griechenland nicht in der Lage war, bis Ende Dezember die Bedingungen für die Auszahlung der letzten Tranche zu erfüllen, das Programm auf Antrag Griechenlands bis Ende Februar verlängert. Aber das heißt, Griechenland muss nur das erfüllen, was Bestandteil des Programms seit zwei Jahren ist, dann wird die nächste Tranche ausbezahlt. Aber ohne das wäre eine Änderung des Programms… da müsste der Deutsche Bundestag vorab zustimmen. Ich glaube nicht, dass das einen richtigen Sinn macht.

ARD: So wie Sie es einschätzen hätten Sie dafür im Deutschen Bundestag eine Mehrheit?

Schäuble: Ich würde es auch nicht beantragen, weil ich es für falsch halte. Schauen Sie: Wir haben mit allen Programm – Ländern Bedingungen sorgfältig ausgehandelt: Was ist notwendig, damit dieses Land, das in Schwierigkeiten ist, das keinen ordnungsgemäßen Zugang zu den Finanzmärkten hat, also keine Kredite mehr bekommt, damit dieses Land wieder das Vertrauen zurückgewinnt. Was muss da geschehen. Da haben wir die Konditionen bei Griechenland über alle Maßen großzügig gemacht. Was würden denn die anderen Länder sagen, denen wir engere, strengere Konditionen auferlegt haben. So einfach geht das nicht. Und was würde der deutsche Steuerzahler sagen? Mein Kollege hat gesagt: Wir müssen den griechischen Wählerwillen respektieren. Da habe ich gesagt: Ja, natürlich, wir haben großen Respekt vor den Wählerwillen der Griechen. Aber mein Respekt vor dem deutschen Wählerwillen und vor dem Wählerwillen der Wähler in allen anderen Mitgliedsländern ist genauso groß. Und da muss man einen Weg finden. Aber so einfach ist das nicht, dass man sagt: Na, wir halten uns nicht an das, was wir vereinbart haben – jetzt brauchen wir aber Geld.

ARD: Die Frage ist, wie akut ist die Lage in Griechenland wirklich? Herr Schäuble, von der Europäischen Zentralbank kommen heute unterschiedliche Signale. Einerseits wird sie Griechische Anleihen nicht mehr als Sicherheiten für Bankkredite akzeptieren – das hat heute übrigens den Griechischen Aktienmarkt einbrechen lassen – auf der anderen Seite gibt es eine Meldung vom Mittag, die EZB hat Notfallkredite für Griechische Banken in Höhe von 60 Milliarden Euro genehmigt. Wie ernst ist die Lage in Griechenland wirklich?

Schäuble: Es gibt verschiedene Finanzierungsinstrumente in der Europäischen Zentralbank. Ich bin nicht der richtige Gesprächspartner für die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank, aber so viel kann ich ja sagen: Die Europäische Zentralbank nimmt eigentlich nur Staatsanleihen, die ein Investment-Rat im Rating haben. Das hat Griechenland nicht. Aber so lange Griechenland unter Programm ist hat man gesagt, wir nehmen Sie als Gegenfinanzierung in das Programm. Und jetzt haben Sie gesagt, wir erlauben der Griechischen Notenbank, eine sogenannte Emergency Liquidität Assistance (ELA) zu gewähren. Dazu muss die EZB zustimmen, das hat sie getan. Aber auch das hängt natürlich letzten Endes an der Erwartung, das eben – im Augenblick haben wir formal ja noch ein Programm – ich glaube, das hat Herr Draghi meinen Griechischen Kollegen gestern auch sehr deutlich gesagt.

ARD: Herr Schäuble, zeigt das griechische Wahlergebnis und zeigen die Proteste nicht auch in Griechenland, dass demokratische Gesellschaften derart drakonische Sparmaßnahmen einfach nicht hinnehmen wollen? Besteht nicht die Gefahr, dass das sich ausweitet auch auf andere Länder – wir sehen, in Spanien geht es auch los, Italien ist gerade noch mal von Herrn Renzi wieder eingefangen worden -, dass eben dann auch ganz rechte Parteien, Rechtsaußen -Parteien nach oben kommen?

Schäuble: Na ja, schauen Sie, Sie haben aber gerade eine Meinungsumfrage erwähnt, die Sie, ich glaube, im weiteren Verlaufe des Abends veröffentlichen wollen. Ich sage noch einmal: Wir haben auch Wähler in Deutschland, und der Wählerwille in Deutschland ist auch genauso wichtig wie der Wählerwille in anderen Ländern. Wir haben Griechenland über alle Maßen bei anderen Ländern hinaus geholfen, Solidarität geübt. Wenn Griechenland jetzt wieder seine Mindestlöhne anhebt, sie wieder über das Niveau anderer europäischer Länder anhebt, dann ist es schwierig, den Steuerzahlern in anderen europäischen Ländern zu erklären, dass man dieses zu Lasten des eigenen Haushalts finanzieren soll. Und deswegen – was heißt außergewöhnliche Sparmaßnahmen? Griechenland hat lange Jahre bis zum Ausbruch dieser Krise weit über seine Verhältnisse gelebt. Und irgendwann haben die Finanzmärkt gesagt, so, jetzt trauen wir ihnen nicht mehr und geben ihnen keine neuen Kredite mehr. Und dann mussten sie Hilfe haben, um sich überhaupt finanzieren zu können. Jetzt sagen sie, man hätte ihnen nicht soviel Kredite geben können. Sie müssen eben auf einen Weg kommen, dass sie wieder von anderen Kreditgebern Vertrauen haben, zurückfinden. Das ist der Weg. Da haben sie große Fortschritte gemacht. Wir haben gute Chancen, dass in diesem Jahr zum ersten Mal die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Sie haben wieder Wirtschaftswachstum. Sie sind besser, als man vor zwei Jahren erwartet hat. Aber sie sind nicht über den Berg, und wenn sie jetzt alles streichen, zerstören sie die Grundlagen dessen, was sie in den letzten Jahren erreicht haben.

ARD: Die Frage ist, wie kommen sie aus dem Tal? Herr Varoufakis hat heute vorgeschlagen – soweit wir wissen, auch Ihnen, Herr Schäuble, vorgeschlagen -, die Rückzahlung der Schulden an die Leistungsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu koppeln. Das heißt, wenn die Wachstum haben gibt es eine Rückzahlung, wenn sie kein Wachstum haben, nicht. Wäre das ein gangbarer Weg?

Schäuble: Wir haben nicht über Schulden-Restrukturierung gesprochen. Das hat er mir auch nicht vorgeschlagen, sondern wir haben über das gesprochen, was wir auch öffentlich mitgeteilt haben. Das ist auch wirklich nicht das dringliche Problem. Griechenlands derzeitige hohe Schulden sind ja auf einen langen Zeitraum finanziert, selbst die Zinszahlungen sind ja gestundet. Also, sie haben ein Liquiditätsproblem, wenn sie keinen Marktzugang haben. Und damit sie einen Marktzugang haben, brauchen sie ein Programm, damit ihnen die EZB weiterhin Liquidität zur Verfügung stellt.

ARD: Herr Tsipras und Herr Varoufakis sagen ja: Eigentlich braucht Griechenland noch mal einen neuen Marshall -Plan, sie nennen das „Merkel-Plan“. Sie spielen damit auch auf die deutsche Geschichte an.

Schäuble: Na ja, da muss man ein bisschen doch vergleichen: Wie war damals die Lage, wie ist heute die Lage, was waren damals die Größenordnungen? Wir haben bei dem Griechenland -Hilfsprogramm Größenordnungen, die hat es sonst weder nach den Erfahrungen des IWF noch irgendwann sonst gegeben. Wir haben ja auch bilateral sehr viel für Griechenland getan. Die KfW hat Kredite an die griechische Entwicklungsbank gegeben, wir leisten bilateral zusätzlich zu den europäischen Programmen. Ich habe es auch heute wieder angeboten, wir haben auch angeboten: Wir helfen beim Aufbau einer Steuerverwaltung. Das habe ich schon vor Jahren angeboten, in Übereinstimmung mit meinen Kollegen Landesfinanzministern, Landessteuerverwaltung ist ja überwiegend Ländersache. Auch heute haben mich Kollegen angerufen und gesagt, sie können gerne wieder Beratungshilfe anbieten. Griechenland muss es annehmen. Wenn sie eine leistungsfähige Steuerverwaltung aufbauen, das wäre sicher hilfreich. Aber sie können sich nicht einseitig von dem verabschieden, was bei großer Skepsis der Öffentlichkeit in vielen europäischen Ländern in den letzten Jahren verabredet worden ist. Verlässlichkeit ist auch eine Voraussetzung für Vertrauen.

ARD: Oft macht ja Psychologie auch Politik. Herr Varoufakis hat heute in Anspielung auf die unmittelbare Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg gesagt, es seien gerade die Deutschen mit ihrer Geschichte, die die Griechen jetzt in dieser Lage am besten verstehen könnten. Er hat gesagt, die Deutschen wüssten, was Demütigung und Hoffnungslosigkeit bedeuteten. Herr Schäuble, ist dieser Vergleich schief? Oder müssen wir nicht tatsächlich weniger fragen, was Griechenland verdient, sondern vielmehr danach fragen, was Griechenland braucht?

Schäuble: Na, ja klar, darüber reden wir: Was Griechenland braucht. Und dieses Programm war erfolgreicher, als die Politik der Verantwortlichen in Griechenland über viele Jahre. Noch einmal: Ich lobe ja die Erfolge in Griechenland offenbar mehr als viele Griechen selbst! Ich mische mich nicht in die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Griechenland ein. Aber wer übersehen will, dass Griechenland aufgrund eigener Versäumnisse in diese schwere Krise hineingeraten ist, wer übersehen will, dass wir durch die europäischen Hilfsprogramme – es sind zwei – Griechenland endlich auf einen Weg gebracht haben, wieder Wachstum zu bekommen, die Arbeitslosigkeit abzubauen, seine Finanzen allmählich über einen langen Zeitraum tragfähig zu machen, dass sie auch von den Finanzmärkten Kredite bekommen – der hat dann wenig von der Realität eine Ahnung. Und deswegen – Herr Varoufakis war sehr höflich, ich habe mich auch bemüht, so höflich wie möglich zu sein, aber in der Sache muss man schon Ursache und Wirkung nicht verwechseln.

ARD: Sie sagen gerade, wir haben uns beide bemüht, höflich zu sein. Glauben Sie denn, dass Herr Varoufakis vielleicht aus seinem Trip durch Europa und heute auch bei Ihnen Einiges mitgenommen hat? Vielleicht auch Einiges neu überdenken wird?

Schäuble: Ich hatte schon den Eindruck. Wir haben ein sehr vernünftiges, sehr konstruktives Gespräch geführt. Wir waren uns einig, wir haben nichts zu verhandeln. Wir haben uns kennengelernt, wir haben Argumente ausgetauscht. Und wir sind nicht am Ende aller Tage.

ARD: Herr Minister, besten Dank für dieses Gespräch.