Der Bundesfinanzminister warnt davor, vom eingeschlagenen Weg zur Euro-Rettung abzuweichen



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Stuttgarter Zeitung

Stuttgarter Zeitung (SZ): Herr Schäuble, haben Sie das Gefühl, das Schlimmste in der europäischen Schuldenkrise ist überstanden?

Schäuble: Wir sind auf einem guten Weg. Die Kombination aus Solidarität – also den Hilfsmaßnahmen wie die Rettungsschirme – und Solidität – wie das Umsetzen der erforderlichen Reformen in den Ländern der Eurozone [Glossar] – kommt voran. Das geht nicht über Nacht, doch es gibt Fortschritte hin zu einer Stabilisierung.

Dafür spricht auch die Marktentwicklung in den ersten Wochen des neuen Jahres. Ein gutes Beispiel dafür ist Italien, das unter dem neuen Premierminister Mario Monti lang überfällige Reformen entschlossen angeht.

Darüber hinaus müssen wir eine neue Struktur für die Gemeinschaftswährung schaffen, die Stabilität garantiert. Mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) und dem Fiskalpakt, über den die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel am Montag beraten, machen wir große Fortschritte. Es scheint, dass die Finanzinvestoren auf der Welt anfangen zu verstehen, was es mit der Stabilitätsunion auf sich hat und dass dies der richtige Weg aus der Vertrauenskrise ist.

SZ: Die IWF-Chefin Christine Lagarde ist unzufrieden: Sie wirft den Akteuren in Europa einen Mangel an Entschlossenheit und Fehlstarts vor. Madame Lagarde spricht von der Frustration der restlichen Welt, weil Europa seine Krise nicht in den Griff bekommt. Hat Sie die Kritik überrascht?

Schäuble: Ich kenne ihre Meinung ganz gut. Christine Lagarde gibt als geschäftsführende Direktorin des IWF wieder, wie bei nicht wenigen im Internationalen Währungsfonds gedacht wird. Staaten wie die Vereinigten Staaten oder Brasilien blicken mit Unruhe auf die Europäische Union.

SZ: Sie nehmen die Kritik also ernst?

Schäuble: Ja, natürlich. Ich habe dafür Verständnis. Die außereuropäischen Länder haben das nicht unbegründete Gefühl, dass es den Europäern im Vergleich zu anderen Kontinenten gutgeht. Deshalb besteht die Erwartung, dass Europa seine Probleme löst.

Ich sage aber auch, der IWF hat ebenso Grund, seine Besorgnis auch über andere mitzuteilen und tut dies auch. Es gibt eine Frustration außerhalb von Amerika, dass die USA ihr Schuldenproblem nicht angehen. Wir machen uns auch Sorgen über eine potenzielle Immobilienblase in China. Schwierigkeiten findet man auch anderswo.

SZ: IWF und Weltbank [Glossar] erwarten von Deutschland mehr Führung in der Eurokrise. Ist Deutschland zu zögerlich bei der Bekämpfung der Krise?

Schäuble: Deutschland hat in der gesamten Krise Solidarität gezeigt und geübt. Wir haben als größte Wirtschaft der Eurozone und als die Wirtschaft, die die größten Vorteile aus demEuro [Glossar] hat, auch den größten Anteil an den Hilfsmaßnahmen. Solidarität bedeutet aber auch, dass sich die Mitgliedstaaten an die vereinbarten Regeln halten.

Die Realität in der EU ist: nicht nur die Großen bestimmen in Europa, wo es langgeht, sondern alle gemeinsam. Wir nehmen unsere Verantwortung ernst und auch wahr. Als Europäer, der in der Nachkriegszeit aufgewachsen ist, bin ich jedoch davon überzeugt, dass das Verlangen nach einer ausgeprägten Führungsrolle von Deutschland in Europa nicht besonders klug ist.

SZ: In diesem Jahr müssen Italien und Spanien in starkem Maß neue Kredite an den Kapitalmärkten aufnehmen. Italiens Ministerpräsident Monti sagt, die hohen Zinsen gefährdeten den Reformkurs. Ist es klug, Ländern, die sich anstrengen, Hilfe zu verweigern?

Schäuble: Wir stehen doch alle zusammen bei der Staatsschuldenkrise. Als Ergebnis des eingeschlagenen Kurses sinken die Zinsen, die Italien bezahlen muss. In der kurzen Amtszeit von Mario Monti sind die Zinsaufschläge gegenüber den deutschen Anleihen spürbar von sechs auf vier Prozentpunkte gesunken. Ministerpräsident Monti hat Reformen auf den Weg gebracht, und dafür findet er große Zustimmung. Das ist eine gute Nachricht.

SZ: Angesichts des gewaltigen Umschuldungsbedarfs von Italien in diesem Jahr hofft Herr Monti auf Zinserleichterungen von den Europäern. Die wollen sie nicht gewähren?

Schäuble: Ich habe mich lange mit Mario Monti unterhalten. Der italienische Ministerpräsident sagt, dass Italien es aus eigener Kraft schafft. Das Land braucht keine europäischen Programme.

Der überzeugendste und erfolgreichste Weg ist, dass wir alle dafür sorgen, dass das Vertrauen in die europäische Währung wieder wächst. In diesem Punkt stimmen wir voll und ganz überein. Jedes Land muss seine Probleme in Ordnung bringen. Nur so überzeugen wir die Finanzmärkte [Glossar].

SZ: Die deutsche Regierung hat immer versucht, das Ausbreiten des Feuers in der Eurozone mit hohen Brandmauern zu verhindern. Was spricht dagegen, die verbliebenen Finanzmittel des EFSF, die nicht gebraucht werden, in den künftigen Rettungsschirm ESM einzubringen?

Schäuble: Gegen diese Diskussion spricht, dass wir nicht jede Woche eine neue Sau durchs Dorf treiben sollten. Genau dies führt zur Verunsicherung der Menschen und Märkte. Im Dezember haben die EU-Staats- und Regierungschefs einen klaren Zeitplan beschlossen. Der dauerhafte Rettungsschirm ESM wird auf Juli 2012 vorgezogen.

Außerdem wollen wir gemeinsam möglichst viel Kapital in den ESM möglichst früh einzahlen. Einigkeit herrscht auch, dass der Fiskalpakt möglichst schnell verabschiedet wird. Wir haben nun die Chance, dass dieser Vertrag bereits bis Februar fertig ist. Im März soll dann darüber gesprochen werden, ob die Rettungsschirme ausreichen. Und an diesen Ablauf halten wir uns.

SZ: Lässt sich Ihre Strategie so deuten: zuerst muss der Fiskalpakt unterzeichnet werden, dann wird über die Aufstockung der Rettungsfonds geredet?

Schäuble: Wie gesagt: geplant ist, im März zu sehen, ob die Rettungsschirme ausreichend ausgestattet sind. Alles spricht im Moment dafür, dass die Schirme halten. Vom EFSF im Volumen von 440 Milliarden Euro sind zurzeit 43,7 Milliarden Euro belegt.

SZ: Nicht eingerechnet sind in dieser Summe aber beträchtliche Mittel aus dem Topf der EFSF, die für das zweite Griechenlandprogramm benötigt werden.

Schäuble: Für ein zweites Griechenlandprogramm müssen erst die Voraussetzungen erfüllt sein. In Bezug auf den Rettungsschirm sollten wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Im Moment verfügt die EFSF über einen ausreichend großen Spielraum.

SZ: Griechenland ist auch zwei Jahre nach Ausbruch der Krise eine Hängepartie: Sind Sie enttäuscht, dass Athen kaum vorankommt?

Schäuble: Griechenland ist ein Sonderfall. Es gibt kein Euroland mit vergleichbaren Problemen. In der Tat hat uns die Troika des Internationalen Währungsfonds, von EU-Kommission und Europäischer Zentralbank am Montag in einer Zwischenbilanz berichtet, dass Griechenland die Vereinbarungen vom April 2010 noch nicht vollständig umgesetzt hat.

Wir bestehen aber darauf, dass Griechenland die Auflagen aus dem ersten Hilfsprogramm erfüllt. Ankündigungen haben wir genug, jetzt muss die Regierung in Athen handeln. Erst dann können wir auch über ein zweites Programm reden.

SZ: Wichtiges Thema auf dem bevorstehenden EU-Gipfel sollen Initiativen zur Ankurbelung des Wachstums sein. Was verstehen Sie darunter?

Schäuble: Deutschland geht es vor allem um Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovation. Das ist mindestens so wichtig wie die finanzpolitische Konsolidierung. Über einen Punkt müssen wir uns im Klaren sein: zusätzliche Impulse für das Wachstum können nicht darin bestehen, zusätzliche Schulden zu machen.

SZ: Ein Thema ist für Baden-Württemberg als Nachbarland der Schweiz von besonderem Interesse: Es sieht so aus, als komme das Abkommen mit der Schweiz über die Besteuerung von Kapitalerträgen und Altvermögen nicht voran. Haben Sie das Vorhaben wegen des Widerstands im Bundesrat schon aufgegeben?

Schäuble: Ich will dieses Abkommen umsetzen. Zunächst müsste ich die von der Europäischen Kommission gestellten Fragen klären. Seit vielen Jahren gibt es ein Abkommen der EU mit der Schweiz über die Besteuerung von Zinseinkünften. Damit gibt es in einem kleinen Teil Überlappungen.

Die offenen Fragen konnte ich in dieser Woche abschließend mit der EU-Kommission klären. Von dort gibt es keine Einwände mehr. Nun werden die Gespräche mit den Ländern intensiv fortgesetzt. Ich werbe für das Steuerabkommen, weil es im deutschen Interesse ist. Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen bedeutet eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem jetzigen Zustand. Auch die Haushalte von Bund und Ländern würden profitieren.

Richtig ist: eine hundertprozentige Steuergerechtigkeit für die Vergangenheit werden wir wohl nie bekommen, egal wer was vereinbart. Aber dies ist ein Abkommen, welches für die Zukunft eine Gleichbehandlung der Besteuerung von deutschen Steuerpflichtigen sicherstellt – egal ob sie Vermögen in der Schweiz oder in Deutschland haben. Es beinhaltet gleichzeitig eine faire Regelung für die Vergangenheit.

Es muss Schluss damit sein, dass Jahr für Jahr Millionenbeträge an Steuerschulden für Vermögen, das in der Schweiz liegt, verjähren. Ich gehe daher davon aus, dass wir alle – auch die Bundesländer – ein hohes Interesse haben, diesen unguten Zustand zu beenden.

Das Interview führte Roland Pichler.

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