Der Bundesfinanzminister im Interview mit dem Tagesspiegel



Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble in einem Interview mit dem Tagesspiegel vom 26.08.2012 über die Krise des Euro, die Fortschritte in Griechenland und über das umstrittene Steuerabkommen mit der Schweiz.

Tagesspiegel: Herr Minister, wann haben Sie sich zum letzten Mal ein Bild vom Fortgang der Reformen in Griechenland gemacht?

Schäuble: Als Minister kann man sich leider nicht immer persönlich alles vor Ort anschauen, auch wenn es wünschenswert wäre. Das lässt mein enggestrickter Terminplan oft nicht zu. Insofern bin ich auch lange nicht vor Ort in Griechenland gewesen. Aber wir haben sowohl die Troika-Spezialisten vor Ort als auch deutsche Vertretungen in Griechenland wie auch die der EU-Kommission. Wir sehen uns ständig die Berichte an, beobachten die Entwicklungen, und wir sprechen sehr häufig mit griechischen Politikern und Fachleuten. Deshalb ist das Ministerium und bin ich persönlich sehr gut informiert über die Lage vor Ort.

Tagesspiegel: Sollen die Griechen mehr Zeit bekommen?

Schäuble: Mehr Zeit heißt im Allgemeinen mehr Geld – und das bedeutet sehr schnell ein neues Programm. Das ist nicht der richtige Weg, um das fundamentale Problem der Euro-Zone zu lösen. Wir müssen alle Entscheidungen unter die Grundfrage stellen, ob sie dazu beitragen, Vertrauen zurückzugewinnen. Wir haben Ende 2011 nach schwierigen Verhandlungen das zweite Rettungsprogramm verabschiedet, es hat eine Laufzeit von drei Jahren. Wenn das nach einem halben Jahr nicht mehr ausreicht, wäre das keine vertrauensbildende Maßnahme.

Tagesspiegel: Über Griechenland hinaus: Wie wollen Sie den Euro insgesamt stabilisieren?

Schäuble: Es gibt bei den Menschen und im Markt viele Fragen zur Funktionsfähigkeit des Euro-Systems und damit geht eine Verunsicherung einher. Der Druck auf die einzelnen Länder, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, ist groß. Bei einer gemeinsamen Währung gibt es nicht mehr die Möglichkeit, eine nationale Währung auf- oder abzuwerten, um diesen Druck etwas abzufedern. Dazu kommt, dass die gemeinsame Währung die Möglichkeit einer Ansteckung zwischen Euro-Ländern vereinfacht. Schließlich hat die Staatsverschuldung in der Folge der amerikanischen Subprime- Krise in vielen Euro-Ländern – aber nicht nur da – deutlich zugenommen. Das alles zusammen hat das Vertrauen in den Euro beschädigt.

Tagesspiegel: Und wie kommt man da wieder raus?

Schäuble: Die Lösung muss mehrgleisig sein: Jedes Land geht die Probleme, die es nur selber lösen kann, nämlich die Sanierung der Staatsfinanzen, die notwendigen Reformen und eine Stärkung der Wirtschaftskraft entschlossen an. Zweitens müssen wir in Europa die institutionellen Verbesserungen schaffen, die uns insgesamt entscheidungsfähiger machen. Der grundlegende Zweifel an Europa kommt aus der mangelnden Deckungsgleichheit von Finanzpolitik und Geldpolitik. Die Geldpolitik wird europäisch entschieden, die Finanzpolitik national. Wenn diese Diskrepanz aufgelöst wird, wird das Vertrauen in die Euro-Zone zurückkehren. Bis wir das haben, müssen wir die notwendige Solidarität beweisen, um die Ansteckungsgefahr zu dämmen und die Reformen zu ermöglichen. Mit dem Fiskalpakt haben wir aber einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Tagesspiegel: Um mehr Souveränität an Europa abzugeben, musste das Grundgesetz geändert werden. Sie haben für diesen Fall ein Referendum vorgeschlagen. Glauben Sie wirklich, dass Sie die Mehrheit der Deutschen dafür gewinnen können?

Schäuble: Ich habe da großes Vertrauen in meine Mitbürger. Die Mehrheit der Deutschen sind ganz vernünftige Leute. Die Deutschen wissen, wie groß der Nutzen der Europäischen Gemeinschaft für unser Land ist. Die Menschen wollen ein Europa der Offenheit und der Freiheit – sie wissen auch genau, welchen unglaublichen Vorteil der gemeinsame Wirtschaftsraum Europa hat. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ein solches Referendum positiv für Europa ausgeht, wenn es denn einmal ansteht.

Tagesspiegel: Kommen wir zum Streit über das Steuerabkommen mit der Schweiz. Warum hat das Bundesfinanzministerium die Daten-CD nicht gekauft, die Nordrhein-Westfalen erworben hat?

Schäuble: Mich haben die Berichte über den Ankauf einer neuen Daten-CD und Überlegungen zum Ankauf angebotener Datenträger sehr verwundert. Die Sachlage ist wie folgt: Der Bund kann keine Steuer-CDs ankaufen. Steuerverwaltung ist Ländersache. Dazu gehört auch die Prüfung, ob die angebotene Information überhaupt steuerlich von Relevanz ist. Es gibt seit Jahren eine bewährte Praxis zwischen den Steuerverwaltungen der Länder und des Bundes: Wenn solche Daten angeboten werden, informiert jeder Partner alle anderen, damit man zu gemeinsamen Entscheidungen kommen kann. Weder das Bundesfinanzministerium noch das Bundeszentralamt für Steuern wurden aktuell in Entscheidungen über Ankäufe eingebunden. Wenn das Land Nordrhein-Westfalen neue Fälle vorliegen gehabt hätte, wäre es seiner gegenseitigen Unterrichtungspflicht einseitig nicht nachgekommen. Womöglich handelt es sich aber auch um Fälle, die wir schon vor langer Zeit diskutiert haben. Entweder hat Nordrhein-Westfalen gegen bewährte Regeln verstoßen. Oder jemand hat bewusst Nebelkerzen gezündet.

Tagesspiegel: Sehen Sie trotz der Blockadedrohung der SPD im Bundesrat noch eine Chance für das Steuerabkommen mit der Schweiz?

Schäuble: Die Opposition hat im Sommer ziemlich viel Unsinn zu diesem Gesetz in die Welt gesetzt. Es gibt kein ernst zu nehmendes Argument gegen das Abkommen. Der Grundgedanke ist: Mit seinem Inkrafttreten werden für die Zukunft deutsche Kapitalanlagen in der Schweiz steuerlich absolut genauso behandelt wie in Deutschland auch. Im Inland wird eine Kapitalertragsteuer von 25 Prozent plus Soli von den Banken an das Finanzamt abgeführt. Schweizer Banken sollen es in Zukunft genauso machen. Und für die Vergangenheit haben wir eine pauschale Lösung, die sehr beträchtliche Mittel in die deutschen Staatskassen spülen wird, anstelle des jährlichen Verlusts von Hunderten von Millionen Euro an deutschen Steuerforderungen in der Schweiz durch Verjährung. Das Bankgeheimnis hat in der Schweiz eine lange Tradition. Wir haben jetzt gemeinsam eine Lösung gefunden, die das Verhältnis wieder entkrampft, das durch Äußerungen früherer Regierungsmitglieder belastet war.

Tagesspiegel: Werden Schwarzgeld-Besitzer steuerlich bessergestellt als der ehrliche Steuerzahler diesseits der Grenze?

Schäuble: Das ist Unsinn. Mit diesem Abkommen werden künftig Erträge aus Kapitalvermögen in der Schweiz genauso besteuert wie entsprechende Erträge aus Kapitalvermögen in Deutschland und für die Vergangenheit wird die Besteuerung nachvollzogen. Darüber hinaus wird künftig die Erbschaftsteuer mit dem Höchstsatz in Höhe von 50 Prozent erhoben oder aber der Erbfall wird den deutschen Finanzbehörden gemeldet. Die Kritiker verlangen nun, dass die Schweiz für die Vergangenheit ihr Bankgeheimnis aufgibt. Das wird sie nicht tun. In der Schweiz gilt wie bei uns in Deutschland das Prinzip, dass Gesetzesänderungen nicht rückwirkend gelten können. Das Abkommen sieht in der revidierten Fassung vom 5. April 2012 vor, dass Schweizer Banken ihren deutschen Kunden nach dem Inkrafttreten des Abkommens am 1. Januar 2013 nur noch zwei Möglichkeiten einräumen: Entweder sie lassen sich melden und weisen eine ordnungsgemäße Besteuerung in Deutschland nach. Oder sie unterwerfen sich einer pauschalen Besteuerung, die die Bank abfuhrt.

Tagesspiegel: Ist diese Pauschalbesteuerung, wie die Sozialdemokraten beklagen, nicht eine Steueramnestie?

Schäuble: Das ist reine Polemik, wir gewähren keine Amnestie. Die Schweiz macht wegen des Bankgeheimnisses keine Angaben über Kapitalvermögen in der Vergangenheit. Da die Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung zehn Jahre beträgt, können wir nur diesen Zeitraum besteuern. Was die Höhe der Besteuerung für die Vergangenheit betrifft, ist es entscheidend, dass die auf den Konten liegenden Gelder, also das eigentliche Kapital, pauschal versteuert wird und nicht nur die Zinserträge. Der Satz beträgt, je nachdem, wie lange das Geld in der Schweiz ist, zwischen 21 und 41 Prozent. Das ist keine Bevorzugung gegenüber der Besteuerung der Erträge in Deutschland, denn diese wäre in den meisten Fällen aufgrund von Steuerfreiheiten oder pauschalen Abzugsbeträgen niedriger ausgefallen. Die meisten Steuerberater empfehlen daher ihren Mandanten, sich eher in Deutschland selbst anzuzeigen und nachzuversteuern, statt nach dem Abkommen mit der Schweiz pauschal das Kapital zu versteuern. Das ist doch ein sehr gutes Zeugnis für das Abkommen.

Tagesspiegel: Warum bemühen Sie sich nicht um Nachverhandlungen mit der Schweiz?

Schäuble: Es gibt keinerlei Spielraum für Neuverhandlungen. Das ist ausgeschlossen. Die Schweiz hat das Gesetzgebungsverfahren bereits abgeschlossen und das Abkommen ratifiziert und sieht keine Möglichkeit, es noch einmal zu verändern.

Tagesspiegel: Was passiert, wenn die SPD sich im Bundesrat verweigert?

Schäuble: Dann müssen wir auf die verabredete Abschlagszahlung der Schweizer in Höhe von zwei Milliarden Franken und die darüber hinaus zu erwartenden weiteren Geldsummen aus der pauschalen Versteuerung für die Vergangenheit verzichten. Dann gehen weiter am 31. Dezember eines jeden Jahres Steuereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe verloren. Wie viel Geld genau auf dem Spiel steht, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es gibt Hinweise. Die Briten haben ein ähnliches Abkommen mit der Schweiz. Die britische Regierung geht bei ihrer Haushaltsaufstellung von einem Schätzungsrahmen für die Gesamteinnahmen aus ihrem Abkommen von vier bis sieben Milliarden Pfund (das sind etwa fünf bis 8,8 Milliarden Euro) aus. Das umfasst sowohl die pauschale Versteuerung der Vergangenheit wie auch die künftige Abzugsbesteuerung von Kapitalerträgen in der Schweiz. Gleichzeitig gehen unabhängige Beobachter davon aus, dass Deutsche erheblich mehr Geld in der Schweiz haben als die Briten. Nach unseren Schätzungen erscheint plausibel, dass wir auf rund zehn Milliarden Euro für die Vergangenheit verzichten müssten – und obendrein jährlich auf Steuereinnahmen im dreistelligen Millionenbereich für die Zukunft. Von diesen Beträgen würden die Länder einen erheblichen Anteil bekommen, bei der Nachversteuerung sogar bis zu 70 Prozent. Das auszuschlagen, ist unverantwortlich.

Tagesspiegel: Ihr Koalitionspartner FDP und immer mehr Vertreter aus Ihrer Partei, der CDU, fordern die steuerrechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit der Ehe. Was spricht dagegen?

Schäuble: Natürlich dürfen Menschen, egal in welcher Konstellation sie leben, nicht diskriminiert werden. Das ist völlig klar. Aber Artikel sechs des Grundgesetzes stellt Ehe und Familie unter besonderen Schutz, weil sie das zentrale Element in dem Verhältnis der Generationen untereinander bilden. Für das friedliche Zusammenleben und die Nachhaltigkeit einer Gesellschaft ist das Verhältnis zwischen den Generationen besonders wichtig.

Tagesspiegel: Das heißt für die aktuellen Forderungen?

Schäuble: Wir haben in den Koalitionsverhandlungen gesehen, dass wir nicht einig sind, und uns deshalb darauf verständigt, dass wir Konsequenzen ziehen, wenn das Bundesverfassungsgericht das verlangt. Ich gehe davon aus, dass die gegenwärtige Regelung verfassungskonform ist.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

Alle Rechte: Tagesspiegel.