Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview zur Euro-Krise



Interview mit dem Deutschlandfunk

Frau Engels: Gestern Nachmittag kamen in Brüssel die europäischen Finanzminister zusammen, um die ausgehandelten Garantien für Irland nun endgültig unter Dach und Fach zu bringen. Schon im Vorfeld war die Diskussion breit geführt worden. Doch in der Runde ging es dann auch dem Vernehmen nach einmal mehr ums große Ganze, also auch um den mittelfristigen Umgang mit solchen Krisen. Mit in der Runde dabei in gestaltender Rolle war der Bundesfinanzminister. Guten Morgen, Wolfgang Schäuble.

Herr Dr. Schäuble: Guten Morgen, Frau Engels.

Frau Engels: 85 Mrd. Euro [Glossar] an Garantien bekommt Irland bereitgestellt. Was muss das Land dafür tun?

Herr Dr. Schäuble: Irland muss ein sehr strenges Sanierungsprogramm durchführen, um seine zu hohen Defizite im öffentlichen Haushalt [Glossar] zurückzuführen. Das ist eine gewaltige Anstrengung für Irland. So ähnlich wie das Griechenland auch machen muss. Das ist viel schlimmer als das, was wir uns in Deutschland vorstellen können. Aber es hilft nichts. Das Staatsdefizit von Irland ist so hoch, dass es nachhaltig stabil nur werden kann, wenn sie Ausgaben kürzen und Steuern erhöhen. Beides ist beschlossen worden. Gleichzeitig muss Irland seine Banken restrukturieren, mit sehr viel Kapital versehen, die Banken auch ein Stück weit in ihrem Volumen zurückfahren. Auch dafür hat Irland ein glaubwürdiges Programm vorgelegt. Und dazu braucht nun Irland, damit es das stemmen kann, den Beistand durch den Internationalen Währungsfonds, durch die Europäische Union und auch durch die Gemeinschaft der Euro-Länder. Das haben wir gestern beschlossen. Und ich glaube, dass dieses Programm für Irland geeignet ist. Dass gerade Irland, wenn es konsequent das, was es beschlossen hat, auch umsetzt, in einigen Jahren wieder solide und nachhaltig wirtschaften kann.

Frau Engels: Wird das Geld denn reichen, wenn beispielsweise die Immobilienpreise in Irland weiter fallen und dadurch die Banken noch mehr Schulden machen müssen als bislang?

Herr Dr. Schäuble: Also es ist in den letzten zehn Tagen ja sehr intensiv die Lage in Irland unter allen Gesichtspunkten durch die Experten des Internationalen Währungsfonds, derEuropäischen Zentralbank [Glossar] und der Europäischen Kommission geprüft worden und das Urteil ist übereinstimmend, dass dieses Programm, was unserer Entscheidung zu Grunde gelegt worden ist, ein solides ist, was auch funktionieren wird.

Frau Engels: Die Zinsen auch für portugiesische Staatspapiere sind zuletzt rasant gestiegen. Haben Sie dazu etwas besprochen?

Herr Dr. Schäuble: Ja. Wir haben natürlich die Berichte des portugiesischen Kollegen zur Kenntnis genommen, was Portugal an zusätzlichen Maßnahmen plant. Es ist ja so: Die Spekulationen in den internationalen Finanzmärkten [Glossar] sind ja kaum noch rational zu erklären. Irgendwie wird darauf gesetzt, dass es Ansteckungseffekte gibt und dass eben ein Land nach dem anderen unter den Druck dieser Spekulationen geraten kann. Damit kann man offenbar in den Finanzmärkten viel Geld verdienen.

Frau Engels: Können Sie denn das für Portugal ausschließen, dass es so unter Druck gerät, dass es dann Hilfe braucht?

Herr Dr. Schäuble: Es ist ja im Augenblick unter Druck und deswegen ist es notwenig, dass Portugal die Maßnahmen ergreifen wird. Das ist auch angekündigt worden. Aber das ist eine Sache der portugiesischen Regierung und andere müssen darüber nicht spekulieren. Wir jedenfalls haben sehr grundsätzlich darüber gesprochen und nicht erst gestern, sondern seit Anfang des Jahres. Da gibt es ja auch viele Beschlüsse, die schrittweise umgesetzt werden. Das Instrumentarium des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes muss verschärft werden. Dazu hat diese Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Ratspräsidenten Van Rompuy viele sehr stringente Beschlüsse gefasst. Die werden auch umgesetzt, auch durch begrenzte Vertragsänderungen. Wir haben uns auch darauf verabredet, dass in Zukunft auch die Gläubiger an einer Restrukturierung beteiligt werden können. Wobei dadurch, dass wir jetzt gestern eine einstimmige Empfehlung an den Europäischen Rat beschlossen haben, auch ein Stück weit die Verunsicherung an den Märkten beseitigt wird. Es hieß ja, diese Debatte über einen solchen Krisenmechanismus schaffe zusätzliche Verunsicherung. Jetzt haben wir Klarheit geschaffen. Wir haben im Übrigen klargestellt, dass die Verfahren, die wir da einführen werden, nicht so sind, dass wir die Finanzmärkte nicht schon kennen. Das heißt, es gibt keine neuen Überraschungen. Deswegen hoffen wir zuversichtlich, dass ein Stück weit mehr Beruhigung und wieder Realität in die Bewertungen der Finanzmärkte zurückkehrt.

Frau Engels: Auf die mittelfristige Perspektive kommen wir gleich. Ich bleibe noch mal bei Portugal. Ausschließen können Sie aber nicht, dass das Land europäische Hilfe brauchen wird?

Herr Dr. Schäuble: Wissen Sie, das sind diese Fragen, die uns auch nicht weiterhelfen. Wir haben zu viele Spekulationen und wir sind uns einig. Jedenfalls diejenigen, die Regierungsverantwortung tragen, sollten sich an diesen Spekulationen nicht beteiligen. Wir haben sehr intensiv auf allen Ebenen mit Portugal geredet und das wird auch fortgesetzt. Da gibt es enge Kontakte. Portugal hat viele Maßnahmen ergriffen, ist auf einen guten Weg. Auch die Opposition in Portugal hat angesichts der etwas instabilen Mehrheitsverhältnisse im Parlament zugestimmt zu Sanierungsbeschlüssen und zu Sanierungsmaßnahmen. Deswegen sind wir zuversichtlich, dass Portugal, wenn es diesen Weg konsequent fortsetzt, es schaffen kann.

Frau Engels: Am Donnerstag muss sich auch Spanien wieder neues Geld am Finanzmarkt leihen. Eigentlich gilt Spanien ja in der Meinung vieler Ökonomen als solvent. Aber kann allein die Nervosität, dass die Investoren vielleicht glauben, dass die Mehrheit anderer Investoren an die Pleite Spaniens glaubt, allein dafür sorgen, dass Spanien in die Krise rutscht?

Herr. Dr. Schäuble: Das ist genau das Irrationale an den Finanzmärkten, dass durch ständig neue Spekulationen und Krisen neue Verunsicherung erzeugt wird und am Schluss haben die Bewertungen einzelner Ländern oder einzelner Schuldner mit der Realität überhaupt nichts mehr zu tun.

Frau Engels: Und die Staaten stehen dem hilflos gegenüber.

Herr Dr. Schäuble: Nein! Deswegen haben wir ja diesen europäischen Rettungsschirm gegründet. Der bewährt sich ja nun im Falle Irlands und zeigt, dass wir nicht nur entschlossen sondern auch in der Lage sind, die Stabilität unserer gemeinsamen europäischen Währung zu verteidigen und das gilt für alle. Ich glaube, dass wir gestern wichtige Schritte getan haben, auch mittelfristig, um sicherzustellen, dass diese und unsere gemeinsame Währung eine stabile ist. Das brauchen wir auch. Das brauchen wir im eigenen Interesse. Denn, wenn diese europäische Währung nicht stabil wäre, würden wir Deutschen den größten Schaden davon haben.

Frau Engels: Der Euro-Rettungsschirm, den Sie ansprachen, umfasst derzeit, aus verschiedenen Töpfen gespeist, einen Garantierahmen von rund 750 Mrd. Euro. Haben Sie auch schon Überlegungen getroffen, ob der aufgestockt wird?

Herr Dr. Schäuble: Nein, dazu gibt es überhaupt keinen Anlass. Schauen Sie, wir haben jetzt für Irland ja auch ein Paket. Übrigens von den 85 Mrd. Euro, die Sie genannt haben, wird ja Irland selbst 17,5 Mrd. erbringen, so dass es insgesamt 67,5 Mrd. Euro sind, die Irland zu gleichen Teilen vom Internationalen Währungsfonds, von der Europäischen Union und von der Gemeinschaft der Euro-Länder jeweils 22,5 Mrd. Euro an Beistand erhält. Und angesichts der Summe, die wir im europäischen Rettungsschirm bereitgestellt haben, sehen Sie, wir sind gut vorbereitet. Alle die Spekulationen, dass man den eventuell noch erweitern müsste und so, stärken am Ende nur die Nervositäten auf den Finanzmärkten und das sollte von allen, von verantwortlichen Regierungsmitgliedern in jedem Fall, aber auch von den so genannten oder tatsächlichen Experten möglichst unterlassen werden.

Frau Engels: Herr Schäuble, dann schauen wir auf die mittelfristige Ebene. 2013 soll ja, das ist ja bekannt, ein Krisenmechanismus systematischer mit diesen Krisen umgehen. Ursprünglich hatte ja Bundeskanzlerin Merkel angekündigt, dass systematisch private Gläubiger einbezogen werden sollen. Nun lautet der Kompromiss, dass die Privatwirtschaft von Fall zu Fall mithaftet, falls die eigenen Risiken eben platzen. Wie erklären Sie das dem deutschen Steuerzahler, der kein Verständnis dafür hat, dass Banken und Investoren mittelfristig Gewinne einstreichen und die Verluste anderen überlassen?

Herr Dr. Schäuble: Ja deswegen haben wir ja auch darauf bestanden, dass es eine Einbeziehung der Gläubiger geben kann.

Frau Engels: Aber „Fall zu Fall“ klingt doch sehr vage.

Herr. Dr. Schäuble: Nein, das heißt nur, dass man jeden Einzelfall sich jeweils genau anschauen muss. Anders wäre es ja auch vollkommener Unsinn. Deswegen ist es auch kein Gegensatz, dass wir gesagt haben, es muss auf jeden Fall eine Beteiligung auch der Gläubiger geben, weil es nicht so sein kann, dass auf die Dauer – übergangsweise müssen wir ja das machen – das Risiko durch die Gemeinschaft alleine nur vom Steuerzahler getragen wird. Die Gläubiger, die höhere Zinsen bekommen, müssen auch am Risiko beteiligt werden. Das muss man sich natürlich in jedem Einzelfall genau anschauen. Deswegen gibt es da gar keinen Gegensatz. Im Übrigen war es ja wichtig: Wir mussten eine einstimmige Lösung erreichen. Das haben viele nicht für möglich gehalten und gestern haben wir es geschafft. Da hat es intensive Vorarbeiten gegeben auch auf der Ebene der Regierungschefs. Die Bundeskanzlerin hat sich da sehr engagiert.

Frau Engels: Aber doch auch ein Entgegenkommen gegenüber Frankreich?

Herr Dr. Schäuble: Wissen Sie, wenn 27 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union und 16 oder demnächst 17 Mitliedstaaten der Eurozone gemeinsame Lösungen brauchen, dann muss jeder ein Stück weit entgegenkommen. Die Kunst der Führung in Europa – und das macht die Bundeskanzlerin sehr gut – ist, dass man gemeinsame Lösungen zu  Stande bringt. Viele haben es ja gar nicht für möglich gehalten. Noch gestern Vormittag hieß es: Das, was da zwischen Frankreich und Deutschland mit einigen anderen erarbeitet/angedacht worden ist, das wird auf den entschiedenen Widerstand anderer stoßen. Und dann haben wir gestern zur Überraschung vieler so genannter sachkundiger Beobachter in ein paar Stunden eine gemeinsame Lösung, der alle zugestimmt haben, erarbeitet. Das ist ein großer Erfolg für Europa und daran haben die deutsche Bundesregierung und die deutsche Bundeskanzlerin einen erheblichen Anteil.

Frau Engels: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beginnt heute offenbar zufrieden seinen Tag. Vielen Dank für das Gespräch.

Herr Dr. Schäuble: Bitte sehr, Frau Engels.