„Ängste ernst nehmen“



Interview mit Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble auf www.derwesten.de

Am Wochenende wurde in Duisburg Europas größte Moschee eingeweiht. Für den Bundesinnenminister ein Tag der Skepsis oder der Freude?

Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble: Ein Tag der Freude. Duisburg hat sich vorbildlich und lange genug darauf vorbereitet. Der Islam ist ein Teil unseres Landes und eine Moschee der sichtbare Ausdruck dafür.

Brauchen wir in Deutschland mehr Moscheen?

Schäuble: Den Muslimen, die eine Moschee haben möchten, sollten wir auch Gelegenheit geben, eine zu bauen. Wenn Religion richtig verstanden wird, dann leistet sie einen Beitrag zum Miteinander und nicht zum Gegeneinander der Menschen, wie das früher leider auch im Christentum der Fall war.

Haben praktizierende Christen mit praktizierenden Moslems weniger Akzeptanz-Probleme als Nicht-Christen?

Schäuble: Ich denke schon. Wer sich seiner eigenen Position klar ist, kann eher Verständnis für die Position des anderen aufbringen, als jemand, der das nicht weiß.

Haben Sie Verständnis für die Ängste in der Bevölkerung, die besonders dann auftauchen, wenn Menschen in ihrem Stadtteil zur Minderheit werden?

Schäuble: Ja sicher. Darüber habe ich mit Herrn Bardakoglu dem Chef der Türkischen Ditib, gesprochen. Er sagt sogar öffentlich, dass er Verständnis für die Ängste der deutschen Bevölkerung habe. Deswegen ist es ja so wichtig, dass man es nicht übertreibt und etwa die Moscheen zu groß baut. Für Bardakoglu ist klar, dass Menschen nicht zu Migranten im eigenen Land werden dürfen. Deutschland ist tolerant gegenüber seinen Minderheiten, aber es ist auch klar, dass wir immer noch ein mehrheitlich christliches Land sind.

Wann ist eine Moschee zu groß?

Schäuble: Es ist sinnvoll, die Größe von Moscheen daran auszurichten, wie viele Menschen dorthin gehen, wie groß also der Einzugsbereich ist. Daraus sollte man keine mathematische Regel machen. Am besten läuft es so, wie man es in Duisburg vorgemacht hat: Aus einer Haltung der gegenseitigen Rücksichtnahme heraus rechtzeitig offen miteinander reden und dann gemeinsam planen.

Gehören Moscheen zu Metropolen?

Schäuble: In Metropolen leben mehr als in ländlichen Gebieten Menschen unterschiedlicher und kultureller Herkunft. Deswegen sind in Metropolen Moscheen der Normalfall.

Brauchen wir nicht möglichst bald in Deutsch ausgebildete Imame, die auf Deutsch in den Moscheen predigen?

Schäuble: In der Tat. Der Kölner Oberbürgermeister Schramma hat mir erzählt, er habe mit dem Trägerverein der Kölner Moschee vereinbart, dass das Freitagsgebet auf Deutsch gehalten werde. Mit der Türkei sprechen wir darüber, dass wir Islam an deutschen Universitäten als Fach anbieten und dass Imame auf Deutsch predigen. Mit der Regierung in Ankara sprechen wir auch darüber, die Imame, die aus der Türkei zu uns geschickt werden, nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in deutscher Lebensgewohnheit auszubilden. Deshalb sollte sich die Ditib von einer Religionsbehörde zu einer Religionsgemeinschaft weiterentwickeln.

Was ist mit islamischem Religionsunterricht an deutschen Schulen?

Schäuble: Wir haben dafür die Voraussetzungen geschaffen. Das können jetzt die Länder regeln.

Migrantenkinder tun sich schwer mit Bildungsabschlüssen, als Auszubildende und auch als Studierende. Wie kann das besser laufen?

Schäuble: Eltern von Migranten sollten ihre Kinder nicht nur behüten, sondern ihnen auch die Chance geben, hier bei uns ihren Weg machen zu können. Dazu gehört die Vermittlung hinreichender Deutschkenntnisse schon im Vorschulalter. Wenn die Eltern das nicht schaffen, stehen wir in der Pflicht, ihnen dabei im Interesse ihrer Kinder zu helfen. Im Übrigen gibt es immer mehr erfolgreiche Migrantenkinder, die ihre Abschlüsse gemacht haben, die Akademiker sind. Darüber sollten Medien mehr berichten, hier, aber auch in der Türkei, vielleicht unter der Überschrift: Yes, we can.

Ich habe gelesen, dass jeder dritte türkische Akademiker zurück in die Türkei will. Entwickelt sich Deutschland vom Einwanderungs- zum Auswanderungsland?

Schäuble: Wir sind nach wie vor sehr attraktiv für Migranten, die sich hier ausbilden lassen möchten. Dass in Zeiten der Globalisierung Menschen mal hier, mal dort leben, lernen und arbeiten, ist ganz in unserem Interesse. Es kann nicht unser Ziel sein, dass Menschen auf Dauer hierhin kommen. Die Experten reden von zirkulärer Migration: Jemand verlässt seine Heimat und kehrt besser ausgebildet irgendwann zurück. Es ist nicht im Interesse deutscher Politik, schlechter entwickelten Ländern deren Eliten wegzunehmen.

Das Interview führte Ulrich Reitz