Wir sind schneller als die Schuldenbremse



Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble geht davon aus, dass Deutschland bereits 2014 – zwei Jahre früher als vorgegeben – die Ziele des Gesetzes zur Schuldenbremse erreichen wird. Der Haushalt sei dann zwar noch nicht ausgeglichen, trotzdem sei das „ein toller Erfolg“.

Deutschlandradio: Herr Schäuble, in dieser Woche gab’s viel Verwirrung um Griechenland – um die Frage, ob dem Land mehr Zeit gegeben wird, um sein Haushaltsdefizit abzubauen und notwendige Reformen durchzuziehen. In Athen wurde dieser Aufschub schon verkündet, gerade so, als sei das alles im Prinzip unter Dach und Fach. In Brüssel, aber auch hier in Berlin hieß es: Nein, stimmt so nicht, wir sind noch nicht so weit. Können Sie diesen Widerspruch aufklären?

Schäuble: Ja, ich habe den griechischen Kollegen gleich angerufen, was er denn im Parlament gesagt hat. Es ist ja immer gut, man fragt direkt. Und er hat gesagt, nein, er habe nicht gesagt, die Verhandlungen seien abgeschlossen. Er sei da missverstanden worden, vielleicht habe er sich auch missverständlich ausgedrückt.

Er wollte den griechischen Politikern sagen: Das, was wir – griechische Regierung – mit der Troika verhandeln, wird dann hinterher nicht endlos lange von den griechischen Politikern noch einmal neu verhandelt werden können. Aber es sei völlig klar, die Verhandlungen seien nicht abgeschlossen. Wir haben ja auch einen Zwischenbericht der Troika in dieser Woche bei den Staatssekretären bekommen. Es geht weiter, und wir werden auch nicht spekulieren. Griechenland ist in einer schwierigen Lage, das ist wahr. Aber umso wichtiger ist, dass wir im Verfahren solide sind.

Deutschlandradio: Aber Herr Schäuble, wenn man mal die Dinge zusammenzählt, wenn man sieht, dass ein Austritt Griechenlands oder gar ein Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone offenkundig keine Frage mehr ist, also keine Option mehr ist, wenn man gleichzeitig Ihre Äußerung von der letzten Asienreise nimmt, als Sie diesen geflügelten Satz brachten „There will be no Staatsbankrott in Greece“ – wenn man also das zusammenzählt und sagt: Griechenland soll in der Eurozone bleiben, Griechenland wird nicht pleite gehen, und wenn man gleichzeitig weiß, das Land muss wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen: Das kann doch nur auf „mehr Zeit für Griechenland“ hinauslaufen.

Schäuble: Es ist jedenfalls eine außergewöhnlich große Anstrengung für Griechenland selbst, denn sie müssen tiefgreifende Sanierungsmaßnahmen in der Finanzpolitik wie in der Wirtschafts- und Strukturpolitik durchsetzen. Versprochen haben sie es oft, aber sie müssen es machen. Und natürlich muss auch die Gemeinschaft der gemeinsamen europäischen Währung Griechenland helfen. Auch für uns alle ist es eine große Anstrengung. Und das eigentliche Problem, und auch deswegen können wir noch nicht vorzeitig irgendwelche Ergebnisse verkünden, ist: Es muss so vereinbart werden, dass es auch von den Finanzmärkten geglaubt wird. Denn bisher, weil Griechenland noch jedes Mal nicht erfüllen konnte, was es versprochen hat, hat Griechenland einen Mangel an Glaubwürdigkeit. Und ohne Vertrauen wird Griechenland nicht wieder Zugang zu den Finanzmärkten finden können. Deswegen müssen wir mit Griechenland eine Lösung finden, die überzeugend ist und die nicht in sechs Monaten wieder nicht funktioniert.

Deutschlandradio: Dennoch, es gibt Politiker auch hierzulande, die sind schon etwas weiter als Sie. Wenn ich zum Beispiel Rainer Brüderle nehme, der spricht jetzt schon von einem „überschaubaren Zeitaufschub“, den man in Aussicht stellen könnte. Ist er da weiter? Was könnte das sein?

Schäuble: Nein, der Fraktionsvorsitzende der FDP Rainer Brüderle hat sehr klug gesagt – es scheitert ja nicht an uns, die Kanzlerin, der Finanzminister, also ich selbst, haben auch gesagt: Wir wollen ja, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, weil wir wissen, die Folgen eines Ausscheidens sind auch nicht leicht abzusehen. Und Griechenland will in der Eurozone bleiben. Aber dann bleibt die Aufgabe so anstrengend und so fordernd, wie Rainer Brüderle das genau so sagt. Und jetzt lassen Sie uns nicht weiter spekulieren. Es muss ein Programm sein, das überzeugend ist, und zwar nicht nur in Europa und in den Parlamenten, sondern vor allen Dingen in der globalen Wirtschaftswelt. Und Griechenland hat uns wieder und wieder angesteckt mit Zweifeln in die Verlässlichkeit dessen, was die Europäer beschließen. Und das darf beim nächsten Mal nicht wieder passieren. Beim letzten Programm ist es passiert. Die Leidtragenden sind insbesondere Spanien und Italien gewesen.

Deutschlandradio: Sie sagen, es muss ein überzeugendes Programm sein, was Sie mit Griechenland abschließen. Was heißt überzeugend, was müssen die Griechen zusagen?

Schäuble: Ja, wir müssen beispielsweise dann im Verfahren Möglichkeiten finden, wer überwacht die Einhaltung des Programms? Wie ist sichergestellt, dass das, was vereinbart wird, wirklich auch in Kraft umgesetzt wird? Was passiert, wenn man von den Zahlen abweicht, gibt’s dann automatische Kürzungen bei bestimmten Ausgaben? All diese Dinge – ein Kontrollmechanismus, ein Korrekturmechanismus. Der kann die Glaubwürdigkeit vielleicht schaffen, die wir bisher noch nicht für Griechenland-Programme erreicht haben.

Deutschlandradio: Was glauben Sie, wie lange wird es noch dauern, bis die Einigung mit Griechenland unter Dach und Fach ist?

Schäuble: Wir arbeiten mit Hochdruck, die Troika arbeitet mit Hochdruck. Die Verhandlungen gehen auch voran, deswegen war ja der Zwischenbericht des griechischen Kollegen im Parlament auch nicht falsch, nur er ist überzogen interpretiert worden. Wer immer daran welche Schuld hat, weiß ich nicht. Griechenland braucht bis Mitte November die Auszahlung der nächsten Tranche. Und insofern arbeiten wir mit Hochdruck daran, rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zustande zu bringen.

Deutschlandradio: Wenn Griechenland dennoch mehr Zeit bekäme und Sie sagen, es muss eine überzeugende Lösung sein, die wir vorlegen, sagen Sie das auch deshalb, weil Sie wissen, Sie müssen alles, was Griechenland betrifft, durch den Bundestag bringen, und Sie brauchen dort eine Mehrheit, eine Mehrheit, die im Moment so sicher nicht zu sein scheint?

Schäuble: Ach, das ist nicht mein Problem. Natürlich brauchen wir für alle Entscheidungen die Zustimmung der Parlamente, aber das ist ganz selbstverständlich, das fürchte ich auch gar nicht. Im Gegenteil, das ist hilfreich. Aber die Parlamente nehmen ihre Verantwortung genau so ernst wie der Bundesfinanzminister seine wahrnehmen muss. Natürlich müssen wir, wenn wir wesentliche Änderungen an dem vereinbarten Programm vornehmen – können wir nur zustimmen, bevor der Bundestag zugestimmt hat. So steht es im Gesetz, daran halten wir uns. Das ist ganz selbstverständlich. Das werden wir erreichen, wenn die Lösung glaubwürdig ist.

Deutschlandradio: Das heißt, die Mehrheit der Koalition steht dann?

Schäuble: Die Mehrheit der Koalition steht, wenn die Regierung vernünftige Entscheidungen trifft und treffen kann. Aber das muss die Troika mit der griechischen Regierung verhandeln und wir in der Eurogruppe. Das werden wir gemeinsam machen. Die Vorstellung, wir hätten Angst vor dem Parlament, das ist so etwas, das mag man gerne in den Couloirs diskutieren und spekulieren. Das ist ziemlicher Unsinn. Alle Abgeordneten der Koalition, natürlich auch die der Opposition, nehmen ihre Verantwortung ernst. Dafür sind sie gewählt. Und die Regierung nimmt ihre Verantwortung besonders ernst, denn sie hat als Regierung eine noch höhere Verantwortung. Und da haben wir viel gegenseitiges Vertrauen.

Deutschlandradio: Sie haben schon vor Wochen gesagt, Herr Schäuble, mehr Zeit für Griechenland würde auch mehr Geld für Griechenland bedeuten. Ist das ein Grund, weshalb es im Moment so schwierig ist, diese Lösung mit Griechenland, diese überzeugende Lösung, von der Sie sprechen, zu finden?

Schäuble: Na ja, klar. Wenn Griechenland länger keinen Zugang zum Finanzmarkt hat, dann muss es länger finanziert werden. Das ist einfache Mathematik oder Grundrechenarten – dass das mehr Geld kostet. Wenn man mehr Geld geben soll, muss man dann dafür aber umso sicherer sein, dass es auch dies Mal funktioniert. Denn wir haben in der Vergangenheit schon öfter Entscheidungen korrigiert, weil sie so nicht umgesetzt wurden. Deswegen ist zum Beispiel eine der bisher nicht abschließend geklärten Voraussetzungen für alles, was wir entscheiden können, dass Griechenland die Maßnahme, die es versprochen hat umzusetzen, auch umgesetzt hat, bevor wir eine neue Entscheidung treffen. Das heißt neudeutsch: Die so genannte „prior actions“ also die Aktionen, die Griechenland vor der nächsten Entscheidung gemacht haben muss, die haben sie bisher nicht alle umgesetzt. Das ist der Stand der Troika-Verhandlungen.

Deutschlandradio: Im Raum steht, wenn es um mehr Geld ginge, eine Zahl von – wie das der griechische Finanzminister sagt – 12 bis 15 Milliarden Euro. Ist das eine realistische Hausnummer?

Schäuble: Nein, wir haben ja gesagt, wir spekulieren nicht, bevor wir den abschließenden Bericht der Troika haben. Nun lassen Sie einfach mich dabei, dass ich mich an das halte, was wir gemeinsam verabredet haben.

Deutschlandradio: Okay, dann reden wir nicht weiter über das Entgegenkommen bei laufenden Haushaltsdefiziten, sondern reden wir noch über ein zweites Problem, was Griechenland hat, nämlich den Schuldenberg, der immer weiter aus dem Ruder läuft. Alle Maßnahmen, die wir in Sachen Griechenland überlegen, sollen darauf hinauslaufen, dass das Land 2020 auf einen Schuldenberg von 120 Prozent herunter kommt – ein Schuldenberg, von dem aus es danach dann aus eigener Kraft die Schulden weiter abbezahlen soll. Nun sieht es aber im Moment so aus, dass dieser Schuldenberg eher steigt als das er fällt. Muss es nicht auch eine Erleichterung bei diesem Schuldenberg geben, Stichwort: Muss es möglicherweise einen neuen Schuldenschnitt geben für Griechenland?

Schäuble: Ja, da gibt es natürlich auch viele, die kluge Rechnungen anstellen. Nun muss man zunächst einmal sich im Klaren sein: Wir haben im vergangenen Jahr als Voraussetzung für das derzeitig geltende Programm für Griechenland – eigentlich geht es jetzt es nur um die nächste Tranche und die Schaffung der Voraussetzungen durch Griechenland dafür – wir haben da einen Schuldenschnitt von 53,5 Prozent zu Lasten der so genannten Privatgläubiger – das war aber beispielsweise auch der chinesische Staatsfonds, das hat die nicht alle gefreut – vorgenommen und haben dafür aber garantiert: Dabei bleibt es. Deswegen ist es ein bisschen unrealistisch jetzt, über weitere Schuldenschnitte zu reden. Jetzt geht es um die Frage, da sagen manche ‚ja, aber wir könnten ja auch bei den öffentlichen Forderungen einen Schuldenschnitt vornehmen‘, der öffentliche Sektor heißt es. Da muss man nur wissen, das haben aber alle Finanzminister oder fast alle in der Euro-Gruppe vor zwei Wochen schon gesagt: Wenn wir etwas Derartiges tun würden, würden wir uns zugleich die Möglichkeit nehmen, nach unserem Haushaltsrecht – das gilt in allen Ländern. Man gibt einem Schuldner, bei dem man gerade seine Forderungen nicht bedient bekommt, nicht neues Geld. Wir wären von Gesetzes wegen gehindert, weiteres zu tun. Deswegen ist das eine Diskussion, die wenig mit der Realität in den Mitgliedsstaaten der Eurozone zu tun hat. Aber das ist ja eine Erfahrung, die wir häufig machen. Wenn es darum geht, über anderer Leute Geld zu verfügen, sind die Leute unheimlich fantasievoll. Das gilt generell, auch im Privatleben.

Deutschlandradio: Dann gibt es eine zweite Idee, ein Schuldenrückkaufprogramm. Die Idee hört sich auch sehr einfach an: Griechenland bekommt neue Kredite, und mit diesen Krediten wird es in die Lage versetzt, alte Anleihen zum Marktwert zurückzukaufen. Und der Trick dabei ist dann: Für den Einsatz von einem Euro aus neuen Krediten könnte man Altschulden vielleicht von 1,50 Euro ablösen. Funktioniert das?

Schäuble: Das ist auch kein Trick, das ist schon eine Überlegung, die man seriöserweise anstellen kann. Das ist auch von dem einen oder anderen Mitglied des Zentralbank-Vorstandes in die Diskussion gebracht worden. Aber da wir nun gerade übereinstimmend festgestellt haben, man sollte eigentlich den deutschen Finanzminister nicht ständig in die Versuchung führen, Dinge zu machen, von denen er sagt: Wir haben verabredet, dass wir sie nicht machen, nämlich spekulative Überlegungen zu äußern, ehe wir den abschließenden Troikabericht haben, würde ich Sie einfach um Hilfe bitten, den Finanzminister nicht weiter in Versuchung zu führen…

Deutschlandradio:… sagte Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Schäuble, vom Problemfall Griechenland ist es nur ein kleiner gedanklicher Schritt nach Europa und damit zu den Dingen, die in der Eurozone neu geregelt werden müssen, damit die Währungsunion wetterfest wird. Europa hat inzwischen einiges vorzuweisen, den ESM beispielsweise, den Fiskalpakt. Das nächste große Projekt ist die Bankenaufsicht. Aber da gibt es unübersehbare Differenzen. Länder wie Deutschland, den geht es primär um eine Aufsicht mit Biss, um es mal so auszudrücken. Anderen Ländern scheint es eher darum zu gehen, die Bankenaufsicht irgendwie zu schaffen, weil das dann den Weg öffnet, um möglicherweise leichter an Geld für schwankende Banken zu kommen aus dem ESM. Ist dieser Eindruck falsch?

Schäuble: Ja, der Eindruck ist ein bisschen oberflächlich formuliert. Es geht allen darum – und das ist ja etwas, was man schon ernst nehmen muss -, das Risiko der Staatsverschuldung, die ist sehr hoch in allen Industrieländern, und dieses Risiko der Staatsverschuldung abzutrennen von den Problemen im Bankensektor, die es auch in vielen Ländern gibt, auch in vielen Ländern der Eurozone. Das ist insofern schon ein berechtigtes Anliegen. Nur: Klar ist auch – und das würde auch niemand anders sagen, ob sie es anders denken ist eine Vermutung, die Sie ausgesprochen haben – eine europäische Bankenaufsicht muss natürlich besser sein als die nationalen Bankaufsichten. Sonst wäre es ja mit Zitronen gehandelt. Das darf man ja nicht machen. Deswegen geht Qualität vor Schnelligkeit. Das hat übrigens der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi ganz klar so gesagt, viele andere auch. Also, das ist auch die deutsche Position und ich unterstelle das bei allen anderen auch so, nicht etwas Gegenteiliges.
Jetzt ist es leichter gesagt als getan. Wir stimmen inzwischen doch in der Tendenz weitgehend überein, dass man im wesentlichen die europäische Bankenaufsicht auf die systemrelevanten Institute konzentriert. Die sind alle grenzüberschreitend tätig. Deswegen sind die Möglichkeiten der nationalen Bankenaufsichten begrenzt. Deswegen ist das vom Ansatz her schon nicht schlecht. Und dazu braucht man dann natürlich die Kapazität, die Expertise, die Erfahrung, das Vertrauen der Europäischen Zentralbank. Deswegen haben die Staats- und Regierungschefs das so beschlossen.

Aber wie das im einzelnen funktioniert und vor allen Dingen wie wir das Verhältnis zwischen den Staaten, die Mitglieder der Eurozone sind, und den Staaten, die der Europäischen Union angehören, aber nicht der Eurozone, regeln – die EZB ist nur für die Eurozone zuständig -, das sind die schwierigen offenen Fragen. Und die andere genau so schwierige Frage ist, innerhalb der Zentralbank muss klar sein, die Geldpolitik ist in der unabhängigen Verantwortung der Zentralbank. Da hat die Politik nicht hineinzureden, die Regierungen und die Parlamente. Aber die Bankenaufsicht ist nicht eine Frage, die irgend jemand unabhängig von demokratischer Legitimation, also parlamentarischer Kontrolle, auch unabhängig von gerichtlicher Überwachung machen kann. Und deswegen muss man auf jeden Fall eine klare, absolute Trennwand zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht schaffen.

Deutschlandfunk: Herr Schäuble, nur das Problem ist, es sind komplizierte Fragen, Sie sagen es selbst. Frankreich sagt, das Ganze soll bis kurz vor Weihnachten in trockenen Tüchern sein. Teilen Sie diese Einschätzung, dass das bis Weihnachten zu schaffen ist? Sie sind der Finanzminister, der mit seinen Euro-Kollegen diese Dinge aushandeln muss.

Schäuble: Die Staats- und Regierungschefs haben alle – das ist nicht eine spezielle Position Frankreichs – gesagt, wir hätten gerne, dass das bis Ende des Jahres möglichst verabschiedet ist. Aber sie haben gesagt ‚möglichst‘. Weil die Schwierigkeiten, die liegen nicht bei Deutschland. Ich habe sie beschrieben. Einmal, wie schaffen wir die Trennung zwischen Geldpolitik, wo die EZB unabhängig ist, und Bankenaufsicht? Und die andere Frage, im Verhältnis zwischen den 17 Mitgliedsländern der Eurozone und den zehn anderen, Bankenaufsicht als solche, die Regeln der Bankenaufsicht, sind eine Frage des gemeinsamen Marktes. Die müssen einstimmig unter den 27 Finanzministern beschlossen werden. Und da hoffe ich sehr, dass alle sich an das halten, was die Staats- und Regierungschefs verabredet haben. Wenn das alle tun werden, dann schaffen wir es vielleicht bis Ende des Jahres. An Deutschland wird es nicht scheitern, das sage ich auch. Aber ob alle anderen mitmachen so schnell, das muss man abwarten. Ich kann es nicht zwingen. Das geht nur einstimmig. Außerdem, das Europäische Parlament muss auch mitwirken. Und wir sehen ja gerade bei der Debatte um die Besetzung eines Direktorenpostens in der EZB, man sollte das Europäische Parlament nicht unterschätzen.

Deutschlandfunk: Sie haben ein Stichwort gerade gesagt, Herr Schäuble, es ist auch fraglich, ob alle mitmachen. Ein Land, Großbritannien, hat durch seinen Außenminister William Hague gerade in dieser Woche pikanterweise auch hier in Berlin gesagt, wir machen nicht mit bei der Bankenaufsicht.

Schäuble: Deswegen haben wir auch viele anregende Gespräche mit der britischen Regierung, das ist schon wahr. Aber Sie werden verstehen, es hilft ja nicht, wenn wir uns gegenseitig in Interviews oder in Reden das Leben schwer machen. Wir reden miteinander. Ich treffe mich in der kommenden Woche einen ganzen langen Abend mit meinen britischen Kollegen. Die Bundeskanzlerin wird sicherlich Gelegenheit haben, mit dem Premierminister intensiv zu reden. William Hague war hier und hat intensive Gespräche mit seinem Kollegen, dem Bundesaußenminister geführt. Also, wir reden mit Großbritannien. Und wahr ist in der Tat, wir müssen wieder und wieder Großbritannien sagen, wenn ihr nicht der Eurozone angehören wollt, das respektieren wir. Wir halten eure Entscheidung für falsch, aber es ist eure Entscheidung. Wir respektieren sie. Aber ihr habt auch Recht, wir müssen in der Eurozone dafür sorgen, dass die Vertrauenskrise überwunden wird. Dazu brauchen wir auch institutionelle Veränderungen. Die können auch Vertragsänderungen erfordern. Die betreffen dann Großbritannien nicht, aber Großbritannien muss mitwirken nach den Europäischen Verträgen, dass wir diese Vertragsänderungen für die Eurozone zustande bringen. Das hat bei dem Fiskalvertrag nicht funktioniert. Und das muss in der Zukunft funktionieren. Das ist Gegenstand der Gespräche, die wir mit der Regierung Ihrer Majestät führen müssen.

Deutschlandfunk: Das klingt nicht danach, als ob es schnell ginge. Werden dann möglicherweise die Staaten, die glauben, wir müssen unsere Probleme in der Eurozone lösen, werden die voran schreiten? Die können doch schlecht auf Großbritannien ständig warten.

Schäuble: Ja, wir drohen aber nicht. Drohung ist immer ein schlechtes Mittel. William Hague hat in seiner Rede uns aufgefordert – Sie haben es gerade zitiert -, wir sollten unsere Probleme lösen. Also sagen wir, das machen wir. Wir folgen den Ratschlägen, den Aufforderungen unserer britischen Freunde, müssen sie allerdings dann auch bitten, es uns zu ermöglichen.

Deutschlandfunk: Soviel zu Europa, Herr Schäuble. Blicken wir noch nach Deutschland. Auch hier ist die Lage für die Koalition nicht gerade einfach. Streitthemen wohin man blickt, Betreuungsgeld, Praxisgebühr, Zuschussrente. All das soll bei einer Koalitionsrunde Anfang November wohl vom Tisch geräumt werden. Sie als Finanzminister sitzen mit dabei. Kess gefragt, wie viel wird es kosten, um den Koalitionsfrieden wiederherzustellen?

Schäuble: So kess kann ich nicht antworten, wie Sie fragen. Aber ich will es mal so sagen: Demokratie heißt Streit. Das ist gewollt, weil der Streit, der Wettbewerb, die Demokratie soll ja die Kontrolle der Macht ermöglichen. Weil aber Streit die Essenz, der Wesensgehalt der Demokratie ist, darf man nicht sagen, ach, lauter Streitthemen. Wir diskutieren. Wir sind eine offene, lebendige Koalition. Wir haben tolle Ergebnisse erzielt in den drei Jahren. Gucken Sie mal, unser Land steht viel besser da als irgend jemand vor drei Jahren erwartet hätte. Das ist der Erfolg intensiver Diskussion. Jetzt haben wir noch ein paar nicht einfache Debatten. Sie haben einige Themen aufgelistet. Die werden wir Schritt für Schritt lösen. Ich weiß gar nicht, ob das in einem Koalitionsausschuss – der Koalitionsausschuss, das ist nicht das Entscheidende. Die Verantwortlichen in Regierung und den drei Parteien, Partei- und Fraktionsvorsitzende, die Minister im Rahmen ihrer Zuständigkeit, müssen die notwendigen Entscheidungen Schritt für Schritt voran bringen. Das wird funktionieren. Das hat bisher immer funktioniert. Ich gebe zu, wir könnten es öffentlich ein bisschen besser vermitteln. Manchmal erwecken wir wirklich den Eindruck, wir seien nicht einig. Und das ist dann am Schluss auch wieder blöd.

Deutschlandfunk: Ich kann Sie aus der Frage trotzdem nicht entlassen. Wie viel wird es kosten, den Koalitionsfrieden wiederherzustellen?

Schäuble: Na, wir haben klare Verabredungen. Und Sie haben ja auch gehört, darüber gibt es gar keinen Dissens. Am Anfang der Legislaturperiode schien es ja so, als wären wir unterschiedlicher Meinung, weil der Finanzminister immer gesagt hat, wir müssen den Haushalt konsolidieren. Inzwischen bin ich ja ganz stark in dieser Frage nicht nur von CDU/CSU, sondern vor allen Dingen auch von der FDP unterstützt. Sie sehen, wir sind einig im Grundsatz.

Deutschlandfunk: Bevor wir auf die FDP zu sprechen kommen, ein Wort zum Betreuungsgeld, Herr Schäuble. Unabhängig jetzt von der Diskussion über das Für und Wider, welches Familienbild, welches Erziehungsbild, welches Frauenbild dahinter steht, darüber möchte ich mit Ihnen nicht reden. Aber es ist eine Mehrausgabe, die sich für immer der Finanzminister in seinen Haushalt hineinstellen lässt. Und man hat das Gefühl, eigentlich passt so eine neue Sozialleistung nicht in die Zeit, in der wir immer von Haushaltskonsolidierung, von Sparen, von überzeugenden Auftritten auch gegenüber anderen Ländern sprechen. Warum schweigen Sie? Warum lassen Sie zu, dass so eine Milliardenausgabe neu in den Haushalt aufgenommen wird? Warum sagen Sie nicht einfach, wir haben Schuldenkrise, wir müssen die Haushalte in Ordnung bringen, da passt das eigentlich nicht rein?

Schäuble: Die Frage ist leicht zu beantworten. Das Betreuungsgeld ist schon in der letzten Legislaturperiode, das war damals eine Koalition von CDU/CSU und SPD, verabredet worden. Es ist dann zu Beginn dieser Legislaturperiode im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP wieder verabredet worden. Auf der Grundlage dieses Koalitionsvertrages ist die Regierung gebildet worden, der ich als Finanzminister angehöre. Das ist die Grundlage. Deswegen sind die Mittel für das Betreuungsgeld in der mittelfristigen Finanzplanung eingestellt. Ich halte das Betreuungsgeld übrigens in der Sache für gut vertretbar und es ist finanzpolitisch eingestellt in unsere Planungen. Sie machen sich also Sorgen, die ich Ihnen nehmen kann.

Deutschlandfunk: Ist es auch gegenfinanziert, das Betreuungsgeld?

Schäuble: Ja klar, durch die Steuereinnahmen. Ich habe angefangen mit einer Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro. Wir liegen jetzt irgendwo bei 20. Wir werden im nächsten Jahr die Begrenzung des strukturellen Defizits, die in der streben an, das im nächsten Jahr schon zu erreichen. Wir sind also deutlich vor der Kurve. Und es geht auch so weiter. Und in diesem Sinne ist es auch gegenfinanziert.

Deutschlandfunk: Sie sagen, wir sind deutlich vor der Kurve, was die Neuverschuldung und das Absenken der Neuverschuldung betrifft. Nun kommt die FDP und sagt, wir könnten noch ehrgeiziger sein. Wir könnten sogar nicht nur das strukturelle Defizit, was für die Schuldenbremse maßgeblich ist, bis 2014 auf Null drücken, sondern wir könnten eigentlich auch das gesamtstaatliche Defizit auf Null bringen. Das muss Sie doch als Finanzminister irgendwie pieksen. Entweder ist es eine Kritik durch die Blume, nach dem Motto ‚Wir können es besser als der Schäuble‘, oder es ist die Aufforderung an Sie ‚Mach mal mehr‘.

Schäuble: Na ja gut, ich meine, das ist doch in Ordnung. Es gibt immer Wettbewerb. Und dass jemand sagt, ich kann es noch besser, das ist doch prima. Aber er muss dann auch Vorschläge machen, was wir kürzen. Ich habe ja ein paar ganz gute Vorschläge, was man noch machen könnte. Die mache ich aber nicht öffentlich, die kann man intern diskutieren. Wir haben allerdings schon aus wohlerwogenen Gründen verabredet, dass wir die Schuldenbremse einhalten, dass wir im Zweifel etwas schneller als die Schuldenbremse sind – das sind wir -, dass wir aber zugleich auch darauf achten, unserer Verantwortung für nachhaltiges Wachstum in Deutschland und in Europa gerecht zu werden. Und es wird uns ja von allen internationalen Institutionen, von der Europäischen Kommission, vom Internationalen Währungsfonds, von der OECD bestätigt, dass wir eines der ganz wenigen Länder sind, die eben ihre Defizite reduzieren, aber in einer wachstumsfreundlichen Weise. Und da kann unter Umständen mehr auch zu viel sein.

Deutschlandfunk: Das heißt, ein Defizit von Null im Jahr 2014, das ist Wunschdenken?

Schäuble: Dazu – wenn die Koalition die entsprechende Kraft hat, notwendige Entscheidungen zu treffen, kann man auch darüber reden. Aber woran ich arbeite ist, dass wir im nächsten Jahr die Schuldenbremse des Grundgesetzes schon verwirklichen. Und wenn wir dann das strukturelle Defizit, das unabhängig ist von den konjunkturellen Schwankungen, in 2014 auf Null bringen könnten, wäre das auch schon ein toller Erfolg. Und das kann man besser planen, wenn man da nicht die Unsicherheiten der konjunkturellen Entwicklungen, die kann man extrapolieren, weil das strukturelle Defizit davon unabhängig ist.

Das Gespräch führte Theo Geers.

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