Trau­er­re­de von Dr. Wolf­gang Schäu­b­le beim Staats­akt zu Eh­ren Ro­man Her­zogs am 24.01.2017



Wir haben einen großen Staatsmann verloren und einen außergewöhnlichen Politiker.

Seine herausragende wissenschaftliche Qualifikation und seine umfassende humanistische Bildung mögen erklären, warum er zu der weithin üblichen politischen Geschäftigkeit ein eher heiteres und distanziertes Verhältnis hatte. Aber deshalb darf sein Wirken in der durch demokratischen Wettbewerb verfassten Politik weder unterschätzt noch vergessen werden.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl wusste, warum er auf seinem Weg nach Bonn den schon in jungen Jahren renommierten Verfassungsrechtler an die Spitze seiner Landesvertretung berief. Mit seiner uneitlen Klugheit und Effizienz hat Roman Herzog diese Schlüsselrolle an der Nahtstelle zwischen Bund und Ländern, Bundestag und Bundesrat ausgefüllt.

Auch die Rolle, die er nach dem legendären Trennungsbeschluss von Kreuth 1976 – und wie er sie – gespielt hat, sagt viel über Roman Herzog aus.

Deshalb war Baden-Württemberg glücklich, ihn 1978 für die Landespolitik in Stuttgart gewinnen zu können, als Kultusminister zunächst und ab 1980 als Innenminister. Er wurde damals von vielen als konservativ kritisiert. In jenen Jahren lag das eher quer zum Zeitgeist der „political correctness“. Das war Roman Herzog – in seiner Begrifflichkeit – „wurscht“, beeindruckte ihn also nicht, weil er sich sicher war, dass Bewahren und Verändern keine Gegensätze sein müssen, sondern sich in der richtigen Balance gegenseitig bedingen als Grundlage für nachhaltige Freiheit. Und das gründete bei ihm auf seinem Verständnis der Geschichte und seinem Verständnis von den grundlegenden Werten menschlicher Existenz und Ordnung.

Die Bildungspolitik in Baden-Württemberg war damals im Übrigen nicht nur bestritten, sondern vor allem erfolgreich, und bloß weil Roman Herzog als Kultusminister auch eine Abiturklausur in Latein meistern konnte, nach 15 Minuten abgegeben und mit 1 bestanden, dafür wollte er sich dann auch nicht entschuldigen.

In den Debatten unserer Tage über die Gefährdungen für die innere Sicherheit könnten wir auf Roman Herzog hören. Die Befassung mit den Grundrechten, ihre Bedeutung für unsere Freiheitsordnung und ihre Gewährleistung war wesentlicher Teil seines Wirkens als Wissenschaftler, als Verfassungsrichter und als Politiker – von seiner Dissertation über „Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention“ bis zu seinen Arbeiten für die Europäische Grundrechtecharta.

Weil er sich so der Bedeutung der Grundrechte sicher war, konnte er in der Gewährleistung innerer Sicherheit entschlossen und durchsetzungsmächtig sein. Manche haben das damals kritisiert – wie Recht er hatte, erleben wir in den Herausforderungen heute.

Roman Herzogs politische Überzeugungen gründeten auf seinem vom protestantischen Glauben geprägten Menschenbild. Die Zwiespältigkeit des menschlichen Wesens – als Gottes Ebenbild geschaffen und zugleich auch im Bösen verhaftet – begründete für ihn, so hat er es formuliert, das Eintreten für einen zugleich freiheitlichen und starken Staat.

Barack Obama hat vor wenigen Tagen in seiner Abschiedsrede in Chicago gesagt, dass die Demokratie immer dann in Gefahr sei, wenn sie für selbstverständlich gehalten werde. Aus genau diesem Grund war es Roman Herzog wichtig, dass wir Deutsche, gerade auch die Jüngeren, die Abgründe der deutschen Geschichte in der Nazibarbarei nicht vergessen, als Mahnung zum Einsatz für Freiheit, Gerechtigkeit, Offenheit und Toleranz in Gegenwart und Zukunft.

Dafür hat er sich eingesetzt, stets für sachlich differenzierte und zugleich inhaltlich klare Auseinandersetzung, etwa in den schwierigen Debatten um die Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses.

In seiner evangelischen Kirche hat er sich dagegen gewehrt – auch da nahm er kein Blatt vor den Mund –, dass dem politischen Gegner mit scheintheologischer Begründung die Gemeinsamkeit aufgekündigt und die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde. An Stelle moralischer Absolutheitsansprüche, bloß gesinnungsethischer Parolen setzte er sich immer für umsichtige, versöhnende, verantwortungsethische Lösungen ein.

Von 1978 bis 1984 war er Bundesvorsitzender des evangelischen Arbeitskreises in der CDU/CSU, und etwa im selben Zeitraum gehörte er dem Bundesvorstand der CDU an. Bezeichnend für ihn legte er Wert darauf, nicht im üblichen Parteitagsverfahren durch Absprachen der Landesverbände und soziologischen Gruppen nominiert und unterstützt zu werden, sondern schlicht als Roman Herzog. Die Mehrheiten bei den Wahlen waren dafür umso höher.

Roman Herzog war überzeugter Föderalist. Die Einleitungsformel der Weimarer Verfassung „Das deutsche Volk einig in seinen Stämmen“ gefiel ihm besonders. Er fand das gelungenen Ausdruck dafür, dass die richtige Verbindung von Vielfalt und Einheit eine freiheitliche Ordnung stabil und zukunftsfähig machen kann.

In diesen Tagen, in denen grundstürzende Veränderungen durch den schnellen Wandel in Globalisierung und Digitalisierung zu Verängstigung und Abwehrreaktionen von Menschen überall in der westlichen Welt führen, macht es viel Sinn, die vertrauensstiftende Kraft von regionaler, auch nationaler, Zugehörigkeit und Betroffenheit zu nutzen. Das prägte auch Roman Herzogs Überzeugung im Eintreten für ein geeintes, handlungsfähiges Europa, das eben auch auf seine Vielfalt der Kulturen und Traditionen in den Regionen und Mitgliedstaaten nicht verzichten sollte.

Zugleich war für Roman Herzog die Bereitschaft zu Veränderungen unerlässlich. Er hat immer die Verkrustung von Strukturen und die Trägheit aus wachsenden Widerstandskräften gegen Zukunftsgestaltung kritisiert und er hat dagegen gearbeitet: gegen überbürokratisierte europäische Strukturen, gegen Erstarrungen in der föderalen Ordnung des Grundgesetzes und gegen Besitzstandsverteidigung in der Gesellschaft – nicht nur in seiner „Ruck-Rede“ als Bundespräsident, sondern schon lange zuvor und vor allem ganz praktisch nach seiner Amtszeit als Staatsoberhaupt, mit seiner großen Autorität, etwa wenn er von seiner Partei in Reformkommissionen gebeten wurde oder auch im „Konvent für Deutschland“.

Roman Herzog wollte unbequem sein. Weil er das immer mit so unverwechselbar unaufgeregter und entspannter Souveränität und Gelassenheit tat, war er umso wirkungsvoller.

Bei aller Loyalität war Roman Herzog in seiner Positionierung immer unabhängig und unbestechlich. Seine Argumentation war treffend, aber er war nie verletzend. Das galt auch für seine Neigung zu Ironie, die er selten verbarg, aber von der er sich selbst auch nicht ausnahm.

Wer mit ihm zusammen sein und wer mit ihm arbeiten durfte, war bereichert. Dafür bleiben wir dankbar.