Für Fairness und Transparenz



Im Interview mit der Märkischen Allgemeinen vom 15. November 2014 kritisiert Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble die Praxis internationaler Konzerne, ihre Steuerlast durch geschickte Gestaltungen zu minimieren. Im Kampf gegen diesen „ruinösen, exzessiven und unfairen Steuerwettbewerb“ komme den Europäern eine Vorreiterrolle zu. Die aktuelle öffentliche Diskussion habe in der Sache nicht geschadet. Darin sieht der Bundesfinanzminister den Beginn eines Umdenkens.

Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ): Herr Schäuble, in Luxemburg liegen geschätzt rund 500 Milliarden Euro ausländisches Steuergeld. Genießt EU -Kommissionspräsident Juncker wegen seiner Luxemburger Regierungsvergangenheit noch Ihr uneingeschränktes Vertrauen?

Wolfgang Schäuble: Juncker genießt mein volles Vertrauen. Probleme habe ich mit der Feststellung, dass in Luxemburg 500 Steuermilliarden lägen. Wer will das wissen? Zutreffend ist aber, dass zahlreiche Unternehmen über Luxemburger Töchter Teile ihres unternehmerischen Ertrages zu äußerst günstigen Bedingungen versteuern. Das ist sehr ärgerlich, aber wohl kein Verstoß gegen Steuergesetze. Allerdings steht im Raum, dass gegen EU-Wettbewerbsrecht verstoßen wurde. Das untersucht derzeit die Kommission in Brüssel.

MAZ: Auf dem G-20-Gipfel in Australien soll jetzt die von Ihnen angestoßene Initiative für fairen internationalen Steuerwettbewerb auf den Weg gebracht werden. Reicht das?

Schäuble: Es ist ein erster ganz wichtiger Schritt gegen den ruinösen, exzessiven und unfairen Steuerwettbewerb, der auf dem Gipfel in Australien beschlossen werden soll. Bis wir bindende internationale Vereinbarungen haben, wird es aber noch etwas dauern. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir in Europa jetzt vorangehen bei der Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken.

MAZ: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim.

Schäuble: Ja.

MAZ: Ist dieser Grundsatz ein für alle Mal auszurotten?

Schäuble: Menschen ist nichts Menschliches fremd. Mein geschätzter Kollege Wirtschaftsminister…

MAZ: … meinte kürzlich: Der Trieb, Steuern zu sparen, sei in Deutschland stärker als andere Triebe.

Schäuble: Gut. Ich selber würde so etwas nicht sagen. Die Globalisierung hat die Möglichkeiten zur Steuervermeidung so exzessiv gesteigert, dass es schwer zu ertragen ist. Wir brauchen keine zweifelhaften Steuersparmodelle, sondern Fairness und Transparenz. Die aktuelle öffentliche Diskussion hat in der Sache nicht geschadet. Im Gegenteil. Das Umdenken hat begonnen.

MAZ: Ist Angela Merkel die stärkere internationale Führungsfigur als der US-Präsident, über den es heißt, er sei eine „lahme Ente“?

Schäuble: Die USA sind die unverzichtbare Führungsmacht in der Welt. Deutschland ist in seinen Möglichkeiten durch die eigene Geschichte und Demografie begrenzt. Angela Merkel ist sehr erfolgreich. Ihre politische Stärke resultiert auch aus ihrer hohen Zustimmung in der Bevölkerung. Das ist bei vielen Staats- und Regierungschefs anders, egal, ob diese parlamentarisch oder direkt gewählt sind.

MAZ: Ist Angela Merkel heute die Führerin Europas?

Schäuble: Nein. Wir haben eine große Führungsverantwortung in der Mitte Europas. Wir müssen Europa gemeinsam voranbringen und zusammenführen.

MAZ: Führt an EU-Mindeststeuersätzen noch ein Weg vorbei, wenn man die Steueroasenpolitik wirklich zerstören will?

Schäuble: Steuerwettbewerb ist gut. Ich bin immer bereit, über Mindeststeuersätze zu diskutieren und mich auch dafür einzusetzen. Aber in der EU können wir das nur einstimmig beschließen. Das relativiert das ein wenig.

MAZ: Hannelore Kraft, die SPD-Ministerpräsidentin aus Düsseldorf, sieht ihr Land im Länderfinanzausgleich benachteiligt. Erweist sie sich als unsolidarisch gegenüber dem Osten?

Schäuble: Ihre Kritik am Länderfinanzausgleich berücksichtigt nicht, dass der Bund den Ländern für den Vorabausgleich sieben Punkte Umsatzsteuer abgegeben hat. Und was die Solidarität angeht, sind viele Ministerpräsidenten froh, dass es den Bundesfinanzminister gibt, der zur gesamtstaatlichen Verantwortung steht.

MAZ: Gehört der Solidaritätszuschlag auf Dauer dem Bund?

Schäuble: Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe für den Bund, um im Zusammenhang mit dem Aufbau Ost spezielle Aufgaben zu übernehmen. Die Zustimmung des Bundesrates brauchen wir dafür nicht. Das ist im Grundgesetz eindeutig geregelt. Diese spezifische Aufgabe endet nicht abrupt 2019. Das gilt für den Vorabausgleich bei der Umsatzsteuer oder die Zuschüsse für die ostdeutschen Renten, die der Bund auch nach 2019 in einer zweistelligen Milliardengröße leisten wird, um nur zwei Beispiele zu nennen. Unterm Strich stelle ich fest – auch über 2020 hinaus gibt es eine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage für die Fortführung des Solidaritätszuschlags.

MAZ: Die SPD spekuliert, scheitert Schäuble mit der schwarzen Null, dann hätte die Union den Schlamassel und würde vielleicht auch in Richtung 23 Prozent bei Umfragen abstürzen.

Schäuble: Mir sagen die führenden Repräsentanten der SPD, wie Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann, wieder und wieder, dass sie entschlossen sind, gemeinsam für unsere Finanzpolitik zu kämpfen. Ich vertraue dem Koalitionspartner, dass wir das, was wir verabredet haben, auch so meinen und gemeinsam umsetzen.

MAZ: Was fehlt Sigmar Gabriel, um in Sachen Regierungskunst an Gerhard Schröder heranzukommen?

Schäuble: Ich kann mich gut an Gerhard Schröder als Ministerpräsident in Niedersachsen erinnern. Die Rücksichtslosigkeit, mit der er damals gegen die deutsche Einheit agiert hat, habe ich nicht vergessen. Als Kanzlerkandidat hat er einen geschickten Wahlkampf geführt. Er hat einfach einen Haufen Dinge versprochen, weil er überzeugt war, dass er sie nicht verantworten muss. Er hat sie dann doch gemacht, zum Schaden des Landes. Später hat er sie dann mit der Agenda 2010 wieder schrittweise korrigiert.

MAZ: Die Frage war: Wo steht Gabriel heute im Vergleich zu Schröder?

Schäuble: Sigmar Gabriel ist Vizekanzler und Wirtschaftsminister, da kann und will ich ihn nicht mit dem Altkanzler vergleichen. Ich würde Sigmar Gabriel auch nie und nimmer unterstellen, dass er unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Vizekanzlers in die Dienste eines Unternehmens wie Gazprom tritt. Aber Gerhard Schröder hat schließlich auch den weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko getroffen und Wladimir Putin als einen lupenreinen Demokraten bezeichnet. Hoffentlich weiß Gerhard Schröder wenigstens heute, dass er sich geirrt hat.